Ebbo Demant CHgJ Auschwitz - «Direkt von Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll Mit einer Einführung von Axel Eggebrecht Zu diesem Buch «Holocaust» hat es gezeigt: Auch 1979 brauchen die Deut¬ schen Aufklärung über Auschwitz. Und sie wollen sie haben. Wo ein renommierter Historiker in einem Bestseller meint: «Was sich tatsächlich abgespielt hat, ist in zentralen Fragen noch ungeklärt», wo junge Neonazis die «Auschwitz-Lüge» propagieren - da tut Aufklärung not. Denn je stärker das In¬ teresse auf der einen Seite, um so stärker auch die Bemühung, den Völkermord wieder zu verdrängen, die Millionenverga¬ sung gar in Frage zu stellen. Drei Auschwitz-Täter geben dem Fernsehjournalisten Ebbo Demant zu Protokoll. Sie sind Lebenslängliche, die mit ihren Aussagen nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen haben. Die Fakten, die sie mitteilen, sind seit langem bekannt. Daß und wie sie von den Tätern selbst erinnert und erzählt werden - darin liegt die Aktualität des Buches. Ebbo Demant, geb. 1943, Dokumentarfilmer beim Südwest¬ funk-Fernsehen. Veröff.: Von Schleicher zu Springer. Zum Problem des nationalen Konservatismus in der deutschen Publizistik, Mainz 1971. Der Autor überläßt die Honorarerlöse aus diesem Band der Gefangenenhilfsorganisation «Amnesty International». rororo aktuell — zur Information über Nationalsozialismus Alwin Meyer/Karl-Klaus Rabe Phantomdemokraten oder Die alltägliche Gegenwart der Vergangenheit (rororo aktuell 4344) Rechtsradikale Jugendliche (in Vorbereitung / Arbeitstitel) Reinhard Kühnl Texte zur Faschimusdiskussion 1 (rororo aktuell 1824) Faschismustheorien. Texte zur Faschismusdiskussion 2 (rororo aktuell 4354) Harald Focke/Uwe Reimer Alltag unterm Hakenkreuz. Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten (rororo aktuell 4431 / erscheint im Mai 1979) Ebbo Demant (Hg.) Auschwitz — «Direkt von der Rampe weg...» Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll Mit einer Einführung von Axel Eggebrecht ro ro ro Rowohlt rororo aktuell - Herausgegeben von Freimut Duve Originalausgabe 1.-20. Tausend März 1979 21.-33. Tausend April 1979 Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, März 1979 Copyright © 1979 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Alle Rechte Vorbehalten Redaktion Klaus Humann Umschlagentwurf Werner Rebhuhn (Foto: Süddeutscher Verlag, München) Satz Times (Linotron 505 C) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 580-ISBN 3 499 14438 7 Inhaltsverzeichnis Axel Eggebrecht: Zur Einführung 7 E. Demant: Vorbemerkung 13 Das Lager 17 1. Josef Erber 23 2. Oswald Kaduk 55 3. Josef Klehr 95 Gerhard Mauz Wo der Sohn den Vater ertränken muß 129 Literatur 142 Axel Eggebrecht Zur Einführung «Wenn die letzten Überlebenden der Hölle von Ausch¬ witz nicht mehr Zeugnis ablegen könnten - und darauf wartet man in gewissen Kreisen -, dann wird Auschwitz in nicht zu ferner Zeit nur noch eine Legende sein.» So Henry Ormond, Vertreter der Nebenklage, im Mai 1965 bei seinem Plädoyer im Frankfurter Auschwitz- Prozeß. Er starb einige Jahre später. Seine Befürchtung traf nicht nur ein, sie wurde durch die Wirklichkeit weit überholt. Auschwitz war bald nicht einmal mehr Legen¬ de; es wurde von der Mehrheit unseres Volkes fast ver¬ drängt. Dann meldeten sich jene «gewissen Kreise» unverfro¬ ren zu Wort. Erst war’s nur ein halblautes, schwer greif¬ bares Gemunkel, dann wurden die Dunkelmänner fre¬ cher. Und nun konnte man lesen, die Schrecken der Vernichtungslager habe es niemals gegeben, Vergasung, Erschießung, Ermordung - das alles seien Erfindungen böswilliger antideutscher Hetzer in West und Ost. Solchen massiven Lügen widersprachen selbstver¬ ständlich diejenigen, die Bescheid wußten. Doch sie wur¬ den von der Allgemeinheit kaum angehört. Die älteren Mitbürger wollten «endlich Ruhe haben vor den Greu¬ eln». Die jüngeren wußten zu wenig und erfuhren viel¬ fach auch in den Schulen nicht viel. Das große Tabu blieb im wesentlichen ungebrochen. Die bundesdeutsche Öf¬ fentlichkeit wollte auch 1970, auch 1975 die furchtbare Wahrheit ebensowenig zur Kenntnis nehmen wie 1940 oder 1944; obwohl man sich weiß Gott leichter informie¬ ren konnte als damals. Mühsam vorbereitete und gründlich geführte Prozes- 7 se gegen KZ-Schergen werden kaum noch beachtet; so etwa das sich schon jahrelang hinschleppende Verfahren gegen die SS von Majdanek. Hier kam es so weit, daß übereifrige (oder durch ihre eigene Vergangenheit bela¬ stete) Verteidiger überlebende Opfer, die als Zeugen geladen waren, massiv einschüchterten. Selbst dagegen erhob sich keineswegs ein allgemeiner Protest. Es kann sein, daß der Prozeß des Verdrängens und Ver- gessens jetzt auf gehalten wurde: Durch den außeror¬ dentlichen Erfolg des amerikanischen Riesenfilms im Fernsehen. Das bleibt abzuwarten, ich bin aus jahrzehntelanger Erfahrung skeptisch. Eines ist aber gewiß: Jetzt haben wir unerwartet eine Chance bekommen, allzu lange Versäumtes möglicher¬ weise nachzuholen. Es ist vielleicht die letzte Chance, deshalb muß sie wahrgenommen werden von allen, die guten Willens sind. Das muß geschehen, nicht um nach dreieinhalb Jahrzehnten eine sogenannte «neue Entnazi¬ fizierung» zu organisieren; mit diesem sinnlosen Schlag¬ wort gehen schon wieder die «gewissen Kreise» hausie¬ ren, die wir endlich beim richtigen Namen nennen wol¬ len: Es sind die ewig Gestrigen, die immer noch bedau¬ ern, daß wir keine Weltmacht mehr sind - und die Ursa¬ chen dafür niemals begriffen haben. Wir wollen diesen dunklen Teil unserer jüngeren Vergangenheit endlich durchleuchten: Nicht um irgendwelcher Rechthaberei oder Besserwisserei willen oder gar aus Rachsucht, son¬ dern um unserer jungen Mitbürger willen. Vielen von denen wurden Fakten und Zusammen¬ hänge vorenthalten. Daher vermögen sie sich nicht vor¬ zustellen, wie solche Massenverbrechen zustande ka¬ men; und vor allem, daß es dazu gehörte, unzählige ganz normale Leute zu beteiligen, die unter anderen Umstän¬ den ganz und gar keine Verbrecher geworden wären. Diese Menschen merkten oft gar nicht, wie wichtig ihre Teilnahme war, ja, daß ohne sie das System nie funktio¬ niert hätte. Ihnen mangelte es an Phantasie. Aber sie 8 waren erzogen zum Gehorsam gegen die Obrigkeit - welche auch immer. Diese besondere, totalitäre Obrigkeit machte aus der Erziehung strenge Dressur. So erfolgreich, daß Reste davon noch immer festsitzen in so manchem älteren Zeit¬ genossen. Und er spürt’s gar nicht, ja, er entrüstet sich, wenn man ihn behutsam darauf aufmerksam macht. Hannah Arendt hat in einer ihrer frühen Arbeiten klassisch dargestellt, wie aus dem braven Bürger, dem Familienvater der große Verbrecher unseres Jahrhun¬ derts wurde; und daß diese grausige Metamorphose nicht nur in Deutschland möglich war und ist - wo es freilich besondere historische Voraussetzuungen dafür gab. Nun sind, leider, gerade diese Voraussetzungen noch keines¬ wegs völlig verschwunden. Mag einer sich noch so auf¬ richtig losgesagt haben vom braunen Teufelsregime - der Glaube an den Wert der Autorität ist nicht gebrochen. Und so droht, früher oder später, irgendein Rückfall, wenn wir nicht beizeiten Vorbeugen: Durch geduldige Belehrung, Aufklärung, Erkenntnis. Durch Wachhalten der bitteren Erfahrungen. Oder um es ganz deutlich zu sagen: Durch das Offenhalten einer schmerzhaften Wun¬ de, bis endlich, endlich alle Gifte ausgeeitert sind. Dazu braucht es geeignete Medikamente; ein solches Mittel, ein vergleichsweise milde wirkendes (es gibt viel, viel schärfere . . .), scheint mir nun dieses Buch zu sein. Es ist insbesondere denen zu empfehlen, die sich nur zögernd an das Problem heilender Erkenntnis über die Hitler-Zeit heranwagen. Ich habe das Manuskript mit zunehmender Beklemmung gelesen. Denn ich wurde zurückversetzt um anderthalb Jahrzehnte, in jenen großen Frankfurter Prozeß, den ich zwanzig Monate lang miterlebt habe. Dort gehörte übri¬ gens Josef Erber nicht zu den Angeklagten, er kam später vor Gericht, ihn habe ich nicht gesehen. Oswald Kaduk hingegen und Josef Klehr meine ich einigermaßen kennengelernt zu haben. Ihnen saß ich auf 9 nahe Distanz gegenüber. Ich sah und hörte, wie sie im Verhör reagierten, belastenden Zeugen widersprachen, wie sie aufbegehrten oder klein beigaben. Vor allem aber erinnere ich mich an den Tag, da sie beide zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Und in dieser Haft sind nun, vierzehn Jahre danach, diese Aufzeichnungen ent¬ standen. Bedeutsam sind sie schon dadurch, daß sich’s immer¬ hin um zwei der bekanntesten Angeklagten im damaligen Verfahren handelt. Daß Klehr und Kaduk zu Schlüsselfi¬ guren erklärt werden konnten, ist und bleibt ein bedrük- kendes Faktum. Beide sind ausgesprochen «kleine Leu¬ te», alles andere als Führernaturen; gehorsame Men¬ schen, die freilich früh und freiwillig in die SS eintraten, aber ganz gewiß nicht, um zu morden. Das wurde ihnen dann erst beigebracht. Sie wurden abgerichtet zu Untaten, denen viele Men¬ schen fähig sind, sobald ihnen jemand die sogenannte Verantwortung dafür abnimmt. Das geschah in Ausch¬ witz durch die höheren SS-Chargen. Von denen standen in Frankfurt zwar auch einige vor Gericht, doch kamen sie mit geringeren, zum Teil mit erstaunlich niedrigen Strafen davon. Das hat sicherlich juristische Gründe; einem Schreib¬ tischtäter läßt sich seine Schuld schwerer nachweisen als denjenigen, die von Vorgesetzten dazu kommandiert wurden, mit eigener Hand zu foltern, zu erschießen, zu vergasen. Es ist klar, daß manche Geschmack an diesen Grausamkeiten bekamen; weniger aus sadistischer Ver¬ anlagung als zum Ausgleich des eigenen Unterworfen¬ seins: Sie schufen sich Unterworfene in ihren Opfern. Die dabei entwickelten Riten der Entwürdigung gehörten wesentlich zum Lagerterror. Dieser wurde gerade von primitiven kleinen Machtha¬ bern hemmungslos ausgübt; darin taten sich ohne Zwei¬ fel die beiden unteren Dienstgrade Kaduk und Klehr hervor. Beide sind halbgebildet, simpel, doch zugleich schlaue Taktierer, was hochmütige Intellektuelle sich oft 10 nicht recht vorzustellen vermögen. Im Prozeß hat es sich hundertfach erwiesen, manchmal auf skurrile Art: So sprang etwa Kaduk jeden Morgen beim Namensaufruf auf und stand zackig stramm, Hände an der Hosennaht, als fände ein Kasernhof-Appell statt. Diese Haltung war ihm eingedrillt, gewiß, doch der prüfende Blick auf Ge¬ richt und Zuschauer bewies, daß er die Wirkung kontrol¬ lieren wollte. Heute geht es um die Frage, wie Kaduk und Klehr sich vierzehn Jahre danach verhalten. Um es kurz zu machen: In vieler Hinsicht genauso wie damals. Und das macht, für mich, ihr heutiges Zeugnis glaubhaft. Beide haben recht, wenn sie sich darüber beklagen, daß ihre einstigen Vorgesetzten so billig davongekom¬ men sind. An beiden fällt ein bezeichnendes Nebenein¬ ander, Durcheinander von Sentimentalität und Brutalität auf - den Psychologen ist es nicht unbekannt. Noch immer erklärt Klehr, seine infamen Phenol- Injektionen in den Herzmuskel, das berüchtigte «Ab¬ spritzen», sei doch viel humaner gewesen als die Gas¬ kammer; in die übrigens, laut Urteil, auch er zuweilen Opfer getrieben hat. Und dieser Mann klagt heute dar¬ über, er werde durch Fragen so schrecklich gequält. . . Kaduk, der überführte Schinder und Totschläger, brach einst während seines Schlußworts in Tränen aus. Heute leistet er sich eine böse Verleumdung: Er deutet an, sein Verteidiger Dr. Reiners hätte mit dem Vorsitzen¬ den des Gerichts paktiert; und nebenbei erwähnt er, auch dieser Reiners sei ja mal Staatsanwalt gewesen. Das letz¬ tere stimmt. Aber Anton Reiners gehörte zu den leider viel zu wenigen Beamten, die dem Gewaltstaat nicht dienen wollten. Er gab seine Karriere auf, wurde freier Anwalt - und im Krieg als Soldat eingezogen; während seine früheren Kollegen ihr zweifelhaftes juristisches Amt für das Regime irgendwo in Sicherheit weiter ausüb¬ ten - wir kennen solche Fälle ja wohl alle ... Im Prozeß mühte dieser Dr. Reiners sich hingebungsvoll um seinen 11 düsteren Klienten, ich habe es erlebt und bezeuge es hier. Oswald Kaduk wie Josef Klehr bestätigen uns, als überführte Schuldige, alles das, was viele jüngere Zeitge¬ nossen anzweifeln und was böswillige Verführer systema¬ tisch leugnen: Die Existenz der Konzentrations- und Vernichtungslager, mit all dem Grauen, das kein jemals wird vollständig wiedergeben können. Zwei arme Teufel sprechen, die einst mörderische Teufel waren. Das macht sie zu glaubhaften Zeugen. Ungern füge ich hinzu: Es macht sie glaubhafter als über¬ lebende Opfer, hinter deren Aussagen die ahnungslose Nachwelt allzu rasch Rachebedürfnis vermutet. Den Zeugen Kaduk und Klehr muß die Nachwelt glauben. Januar 1979 Axel Eggebrecht Vorbemerkung «Wenn alle Häftlinge bei uns sich so ruhig und diszipli¬ niert verhalten würden wie diese drei, dann hätten wir überhaupt keine Sorgen mehr.» Aussage eines Aufsichts¬ beamten der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt in Hes¬ sen. Sie galt drei nationalsozialistischen Verbrechern, die wegen mehrfacher, teilweise sogar vielfacher Morde, eine lebenslange Freiheitsstrafe abzubüßen haben: Os¬ wald Kaduk, Josef Erber und Josef Klehr. In verschiede¬ ner Funktion hatten sie teilgebabt an dem größten Ver¬ brechen, das Deutsche jemals begangen haben, an den Morden in Auschwitz. Mehr als vierzehn Jahre sind seit Vollzugsbeginn ihrer Urteile vergangen. In Frankfurt war ihnen der Prozeß gemacht worden. Danach waren sie vergessen. Eine Last schien von dem sich noch aufbauenden Staat Bundesre¬ publik Deutschland und seiner Bevölkerung genommen, ein Ballast abgeworfen, ein Schlußstrich gezogen. Man stahl sich aus seiner Vergangenheit heraus. Auschwitz: ein Betriebsunfall der deutschen Geschichte. Sie, die Tä¬ ter, saßen und schwiegen. Und niemand fragte sie mehr. Das Getuschel über Auschwitz jedoch nahm immer groteskere, ja fürchterlichere Formen an. Waren schon die Inhalte der Frankfurter Prozesse nicht als ein dazuge¬ höriges Stück deutscher Geschichte umfassend ange¬ nommen worden, so nahmen die Anzeichen der Ver¬ harmlosung, Verniedlichung und der totalen Verdrän¬ gung dieses grausigen Mordens zu, je größer die Zeit¬ spanne zwischen Tat und Gegenwart wurde. Wie viele Schüler werden heute in Deutschland über¬ haupt über Auschwitz unterrichtet? Wie sollen sie auch, wo viele ihrer Lehrer noch immer unsicher sind und ihre 13 Geschichtsbücher, wenn sie Auschwitz nicht gar ganz ausklammern, so oft doch nur mit vier, fünf Zeilen abtun. Die junge Generation wird weitgehend in einem Bewußt¬ sein von Geschichte erzogen, das sie denken und spre¬ chen läßt: «Was haben wir mit diesen Leuten und ihren Taten noch zu tun. Einmal muß Schluß sein.» Niemand jedoch vermag sich aus seiner Geschichte herauszustehlen. Helmut Schmidt bei seinem Besuch in Auschwitz am 23. November 1977: «An diesem Ort wird zwingend deutlich, daß Ge¬ schichte nicht nur als eine kausale Kette von Ereignissen und Handlungen verstanden werden kann, sondern daß Verantwortung und Schuld dazugehören, daß Verant¬ wortung und Schuld auch geschichtliche Größen sind. Die Verbrechen des Nazifaschismus, die Schuld des Deutschen Reiches unter Hitlers Führung begründen un¬ sere Verantwortung. Wir heutigen Deutschen sind als Personen nicht schuldig, aber wir haben die politische Erbschaft der Schuldigen zu tragen, hierin liegt unsere Verantwortung.» Doch wie wird diese Verantwortung wahrgenommen? Ein Weihnachts-Bestseller des Jahres 1978 - massenhaft in den Schaufenstern vieler Buchläden angeboten - ist ein sogenanntes Geschichtsbuch der Deutschen, in dem, geschrieben von einem wohlbestallten deutschen Histori¬ ker, neben anderen Ungeheuerlichkeiten folgende Sätze stehen: «Während des Krieges war unter dem Ausdruck oder zunächst zu verstehen: Da eine Auswanderung nicht mehr möglich war, sollten alle Juden in den Osten evakuiert, aus Zentraleuropa herausgelöst, von der deutschen Bevölkerung abgeson¬ dert und in neuen Gettos zusammengefaßt werden. Die¬ sen Plan umriß der Chef des Reichssicherheitshauptam¬ tes Reinhard Heydrich am 24. Juni 1940. Was sich in den folgenden Jahren tatsächlich abgespielt hat, ist trotz aller Literatur in zentralen Fragen noch ungeklärt. . .»* * Hellmut Diwald: Geschichte der Deutschen. Berlin 1978. S. 165. 14 Der Grund, so schreibt jener Schreibtischtäter, der sich in der heutigen Bundesrepublik Professor nennen darf, der Grund, warum sich in Birkenau ungewöhnlich große Einrichtungen für die Verbrennung der Toten be¬ fanden, sei eine verheerende Typhusepidemie gewesen. - Es sind die noch lebenden Mörder von Auschwitz, es sind Oswald Kaduk, Josef Erber und Josef Klehr, die mit ihren Aussagen dieses Gespinst Lügen strafen. Die folgenden Gespräche entstanden im Zusammen¬ hang mit Aufnahmen, die ich für meine vom Südwest¬ funk, Baden-Baden, produzierte Filmdokumentation machte. Die Gespräche sind be¬ wußt nicht kontrovers geführt worden, denn nur so glaubte ich, eine unverfälschte Selbstdarstellung der Tä¬ ter zu erhalten. Tage, bevor ich mit den Aufnahmen begann, hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, wie ich denn diesen Leuten begegnen würde, nach allem, was ich über sie und ihre Taten wußte. Sollte ich ihnen überhaupt die Hand geben, wenn sie den Aufnahmeraum betraten? Als sich die Tür dann öffnete, standen Menschen vor mir mit Gesichtern, die einem jeden Tag begegnen können. Und wie sie sich dann mit ihrer persönlichen Schuld auseinan¬ dersetzten: Dieser Mangel an Zivilcourage, diese Feig¬ heit, dieser Opportunismus, diese Rücksichtslosigkeit ge¬ genüber dem Schwächeren, diese absolute Bereitschaft zur Unterordnung, diese dumpfe Kritiklosigkeit - da wurde Auschwitz mit einemmal für mich ganz aktuell. Ebbo Demant Baden-Baden, im Dezember 1978 Das Lager Auschwitz, das ist nicht nur ein Lager, sondern ein Kom¬ plex mehrerer Lager, das ist ein Nebeneinander und ein Ineinander von Arbeitslagern und Menschenvernich¬ tungsstätten. Den Kern des sogenannten Stammlagers, Auschwitz I genannt, bildete eine ehemalige polnische Artillerieka¬ serne am Rand der Stadt Oswiecim (Auschwitz), einem unbedeutenden kleinen Industrieort zwischen Krakau und Kattowitz, in einer Niederung zwischen den Flüssen Sola und Weichsel, gerade noch innerhalb des damaligen Generalgouvernements Polen an der Grenze zu Ober¬ schlesien. Dieser Ort war im Februar 1940 dem damaligen «In¬ spekteur der Konzentrationslager» Glücks als geeignet aufgefallen, zu einem Zeitpunkt, als sich die SS-Führung daranmachte, in den besetzten Ostgebieten eine Vielzahl neuer Konzentrationslager zu errichten. Im Mai 1940 begann der erste Kommandant des La¬ gers, Höß, mit einigen SS-Leuten und zweihundert zwangsrekrutierten Juden aus der Stadt Auschwitz, den Kasernenkomplex zu einem Konzentrationslager auszu¬ bauen. Die Zivilbevölkerung wurde in weiter Umgebung zwangsweise ausgesiedelt. Die ersten Insassen des Lagers waren dreißig Berufs¬ verbrecher aus dem KZ Sachsenhausen, die dazu be¬ stimmt waren, eine Lagerhierarchie aufzubauen. Bereits im Juni 1940 traf der erste Häftlingstransport mit polnischen Gefangenen ein. Der Schrecken von Auschwitz konnte beginnen. Auschwitz I war in einem Rechteck angeordnet, das ein vier Meter hoher doppelter Stacheldrahtzaun umgab, der mit Starkstrom geladen war. Der Lagerkomplex be¬ stand aus 28 doppelstöckigen roten Backsteingebäuden, einer Baracke, die als Wäscherei diente, und einem Kü¬ chenhaus. Die meisten Gebäude, Blöcke genannt, dien¬ ten als Häftlingsunterkünfte. Auf engstem Raum waren die Gefangenen auf Strohsäcken und Holzpritschen wie Tiere zusammengepfercht. In jedem Unterkunftsblock drängten sich oft mehr als sechshundert Menschen. Die hygienischen Verhältnisse - sofern überhaupt vorhanden - waren katastrophal. In Auschwitz I befanden sich Krankenblöcke (Block 19, 20, 21, 28), die infolge der andauernd auf tretenden Infektionskrankheiten (Fleckfieber) und der allgemei¬ nen körperlichen Schwäche der Häftlinge niemals aus¬ reichten - auch nicht ausreichen sollten. In einem Gebäude (Block 10) waren Frauen unterge¬ bracht, an denen SS-Mediziner ihre unmenschlichen Versuche machten. Block 11 war der Arrestblock, auch Bunker oder To¬ desblock genannt. Zwischen Block 10 und Block 11 be¬ fand sich in einem gemauerten Innenhof die «Schwarze Wand» oder Todeswand. Hier wurden, besonders in der 18 ersten Zeit des Bestehens des Lagers Auschwitz, die Häftlinge massenhaft erschossen. Außerhalb der Lagerumzäunung lagen Verwaltungs¬ gebäude der SS, die Villa des Lagerkommandanten und ein kleineres Krematorium, das sogenannte «Alte Kre¬ matorium». Dieses Krematorium war gleichzeitig Exe¬ kutionsstätte und hatte in sich einen Vergasungsraum, in dem mit Zyklon B gemordet wurde. Die ersten Häftlinge - sechshundert russische Kriegs¬ gefangene - wurden am 3. September 1941 in Ausch¬ witz I vergast. Neben Auschwitz I, in dem durchgehend etwa acht¬ zehntausend Menschen untergebracht waren, gab es das Lager Auschwitz/Birkenau, auch Auschwitz II genannt. Mit seinem Aufbau wurde auf direkte Anweisung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, der das Gelände persönlich mit ausgesucht hatte, im Oktober 1941 begon¬ nen. Auschwitz II - ebenfalls rechteckig angeordnet - war ein riesiger Komplex mit einer Gesamtfläche von 170 19 Hektar. Es lag in einem Sumpfgelände, etwa zwei Kilo¬ meter vom Stammlager Auschwitz I entfernt und wurde in mehreren Bauabschnitten von Häftlingen errichtet. Es unterteilte sich in mehrere Sektoren: Männerlager, Frau¬ enlager, Zigeunerlager, Theresienstädter Lager, Qua¬ rantänelager, «Effektenlager», in dem die den Juden ab¬ genommenen Gepäckstücke und Wertsachen sortiert und aufbewahrt wurden. Die Gebäude des Lagers waren Holz- oder Steinba¬ racken, die nach dem Muster der Pferdestallbaracken der Wehrmacht gebaut waren. Sie hatten keine Fenster, nur kleine Öffnungen an den Schmalseiten unterhalb der Dächer. Auch Auschwitz/Birkenau umgab ein doppelter, elek¬ trisch geladener Stacheldrahtzaun, verbunden mit einer Vielzahl von Wachttürmen. Jeder Lagerbereich war au¬ ßerdem noch in sich umzäunt. Der Eingang des Lagers war ein größeres Backsteinge¬ bäude, in dessen Mitte ein breites Tor war. Durch dieses Tor führten Bahngleise etwa achthundert Meter tief in das Lager hinein. Diesen Gleiskomplex nannte man die «Rampe». Hier endeten die Transportzüge des Reichssi¬ cherheitshauptamtes der SS aus allen Teilen Europas. Hier fanden die sogenannten «Selektionen» statt, bei denen SS-Ärzte und ihre Helfer aus den Judentranspor¬ ten die «Arbeitsfähigen» aussuchten. Der Rest wurde «sonderbehandelt», wie es in der Sprache der Mörder hieß. Oft jedoch wurde gar nicht selektiert, sondern die Insassen ganzer Züge direkt ins Gas geschickt. Zum Bereich des Lagers Auschwitz/Birkenau gehör¬ ten zwei etwas abseits gelegene Bauernhäuser, die im Jahre 1942 zu Vergasungsanstalten umgebaut wurden. 1943 baute man am Rand des Lagers vier große Krema¬ torien mit Gaskammern. Sie wurden - wie große Teile des Lagers überhaupt - gegen Kriegsende von der SS zerstört, um vor der anrückenden Sowjetarmee die Spu¬ ren des Todes zu verwischen. In Auschwitz/Birkenau waren bei starker Fluktuation 20 zeitweise rund 150000 Häftlinge untergebracht. Etwa 60000 KZ-Insassen haben Auschwitz, zu dem neben dem Stammlager und Birkenau noch das Arbeitslager Buna-Monowitz (Auschwitz III) mit weiteren 38 Neben¬ lagern gehörte, überlebt. Die Zahl der Ermordeten ist nicht mehr genau festzu¬ stellen. Historiker schätzen heute, daß in Auschwitz zwi¬ schen zwei und vier Millionen Menschen getötet wurden. 1. Josef Erber Josef Erber wurde am 16. Oktober 1897 in Ottendorf (Tschechoslowakei) geboren. Er besuchte die Volks¬ schule, danach arbeitete er in einer Spinnerei. 1915 wur¬ de er zum k. u. k. Infanterieregiment Nr. 18 eingezogen und als Soldat in Rußland und Italien eingesetzt. Nach Kriegsende war er wieder als Spinnereiarbeiter tätig. Mit kurzen Unterbrechungen, in denen er als Hei¬ zer und Eisenbieger tätig war sowie in der tschechischen Armee Wehrdienst leistete, übte er diesen Beruf bis 1940 aus. 1936 trat Erber in die Sudentendeutsche Partei ein, 1939 wurde er damit automatisch Mitglied der NSDAP. Im gleichen Jahr trat er der Allgemeinen SS bei und erhielt im Oktober 1940 seine Einberufung zu einer SS- Totenkopfeinheit nach Berlin. Ende Oktober/Anfang November 1940 kam Erber nach Auschwitz, wo er bis zur Räumung des Lagers im Januar 1945 blieb. Erber gehörte zunächst der Wachmannschaft des La¬ gers an und kam dann für einige Monate in die Waffen¬ meisterei. Mitte 1942 wurde Erber zur Politischen Abtei¬ lung (Lager-Gestapo) in Auschwitz I versetzt. Er war anfangs in der Registratur, danach in der Aufnahmeab¬ teilung des Lagers. Erber hatte den Dienstgrad eines SS-Unterscharführers (Unteroffizier). Im September 1942 übernahm er die Aufnahmeabteilung des Frauenla¬ gers in Auschwitz/Birkenau. Von November 1942 bis Februar 1943 erkrankte Erber an Fleckfieber und kam in ein Lazarett. Danach war er kurze Zeit in der Politischen Abteilung des Lagers Auschwitz III, ehe er Ende März 1943 wieder die Leitung der Aufnahme im Frauenlager Birkenau übernahm. Von Oktober 1943 bis April 1944 war ihm die Leitung der Aufnahme des gesamten Lagers übertragen. Im Februar 1944 wurde er zum SS-Oberscharführer 24 befördert und erhielt bald darauf das Kriegsverdienst¬ kreuz Zweiter Klasse. Nach Räumung des Konzentrationslagers Auschwitz kam Erber, der bis 1944 den Namen Houstek hatte, in die Konzentrationslager Freudenthal, Groß-Rosen und Mauthausen. Ab Ende Januar 1945 war er der Kampf¬ truppe Oberdonau zugeteilt und kam im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Weihnachten 1947 wurde er entlassen. Knapp fünfzehn Jahre arbeitete Er¬ ber danach in einer Spinnerei in Hof/Bayern. Am 1. Oktober 1962 wurde Erber verhaftet. Zusammen mit Wilhelm Burger und Gerhard Neubert wurde Erber in der Zeit vom 14. Dezember 1965 bis zum 16. September 1966 beim Schwurgericht des Landge¬ richts Frankfurt/Main der Prozeß gemacht. Er wurde des gemeinschaftlichen Mordes in siebzig Fällen für schuldig befunden und zu lebenslangem Zucht¬ haus verurteilt. Ich möchte gar nicht so viel fragen, ich möchte eigentlich - wenn es geht - daß Sie mehr erzählen. Der Film soll sich ja auch an die junge Generation bei uns wenden , für die dieser ganze Geschichtskomplex doch sehr weit weg ist , und den wollen wir ein bißchen doch zu erklären versu¬ chen; wie es zu dem Krieg und zu den damit verbundenen Schrecknissen so oder so gekommen ist. Wie sind Sie denn damals überhaupt nach Auschwitz ge¬ kommen? Erber: Ich wurde eingezogen zu der SS, und zwar nach Berlin. Und da ich vom Sudetenland stamme, wurden wir eines Tages gefragt, wer von Schlesien und so weiter, wir hätten doch da näher nach Hause und wir sollten verlegt werden von Berlin. Und da kamen wir nach Auschwitz. Wie war denn damals Ihr erster Eindruck , als Sie das Lager sahen? Was hatten Sie da für Gefühle? Was dachten Sie da? Erber: Das war 1940. Also das war ja erst kurz im Aufbau, da war noch kein Birkenau und nichts. Da war nur das Stammlager und das waren ehemalige Kavallerie¬ kasernen, ich glaube noch von Österreich-Ungarn dazu¬ mal, was dann die Polen auch benutzt haben. Und dort drin war das Lager, das sogenannte Stammlager Ausch¬ witz. Waren da schon Häftlinge , als Sie hinkamen? Erber: Ja, die waren schon da, vielleicht zehntausend oder zwölftausend. Mehr waren dazumal nicht. Das ist aber für den Komplex doch ganz schön viel. Kön¬ nen Sie sich noch daran erinnern heute , wie das Lager aussah? 26 Erber: Das waren alles Steinbauten. Das waren keine Baracken und so weiter. Und da waren die Häftlinge in einzelnen Zimmern unter¬ gebracht? Erber: Na ja, das waren größere Räume und in einzelne Blöcke eingeteilt. So ein Bau war eben ein Block. Und was war Ihre Funktion , als Sie . . . ? Erber: Ich war die erste Zeit bei der Dritten Wachkom¬ panie und da hatte ich 1941 einen doppelseitigen Knö¬ chelbruch und kam dann zum Innendienst. Dann war ich bei der Waffenkammer und kam . . . Was haben Sie da gemacht in der Waffenkammer? Erber: In der Waffenkammer, na ja, was so zu tun ist. Da werden Waffen nachgesehen usw. Es war ja ein Oberwaf- fenwart da usw. Von dem Wachbataillon der SS? Erber: Ja, ja. Und dann kam ich - also das nächste Jahr, 1942 - kam ich zu der Politischen Abteilung. Was ist denn das? Erber: Das ist, wie soll man das richtig erklären, ist das so: Zum Beispiel wir gehörten wohl der Stabskompanie an, aber nicht dem Lager so direkt, sondern die Häftlinge, die da kamen, oder die Gefangenen, die sie brachten, die wurden von uns übernommen, dann alles eingetragen, also die Bogen ausgefüllt und wurden dem Lager überge¬ ben. Dann zum Beispiel, ein SS-Soldat, wenn der eine Vernehmung hatte, der wurde vom Gerichtsoffizier ver¬ nommen, während die Häftlinge von der Politischen Ab¬ teilung übernommen wurden, vernommen wurden. Die wurden also ausgefragt , woher sie kommen, was für einen Beruf sie haben . . . Erber: Da wurde ein direkter Personalbogen ausgestellt, 27 auch die Heimatadresse, Verwandte darauf usw., wo sie, wenn einer zum Beispiel fliehen würde, wo er hingehen würde usw. und wo er herkam, das war alles verzeichnet darauf. Da kamen ja auch Familien , ganze Familien , an. Wurden sie zusammengelassen oder hat man die dann getrennt? Erber: Ja, Familien, das war zum Beispiel hauptsächlich beim Theresienstädter Lager. Das war dann aber später? Erber: Das war später dann. Und auch bei dem Zigeu¬ nerlager. Die waren direkt beisammen. Warum hat man die zusammengelassen und die anderen nicht? Hatte das einen Grund? Erber: Das hatte den einfachen Grund, weil Männer und Frauen, die zum Beispiel, je nach dem, was für Häftlinge das waren, getrennt waren. Wir hatten doch ... Es war doch dort außer dem Männerlager, war doch auch ein Frauenlager dort. Auch schon im Auschwitz-Stammlager? Erber: Ja, da kamen 1941 die ersten Frauen, und da wurden . . . Können Sie sich noch erinnern , wo die her kamen? Waren das Polen oder waren das Ungarn , oder Franzosen oder von überall her? Erber: Nein, wie wir hinkamen, waren bloß Deutsche dort, Polen usw. Aber Juden auch schon? Nicht nur politische Häftlinge , sondern . . . Erber: Eigentlich, da waren noch sehr wenig Juden, au¬ ßer, er hatte sich draußen was zuschulden kommen las¬ sen, daß er kriminell war. 28 Und da kamen also auch schon aus . . . Erber: Dann gab es ja die verschiedenen Dings, die politischen usw., die Gruppen alle. Können Sie noch ein bißchen näher erklären , was die Politische Abteilung sonst noch für eine Bedeutung hatte? Also die hatten die Häftlinge zu registrieren , und was geschah dann , nachdem sie registriert waren , mit den Häft¬ lingen? Erber: Die wurden dem Lager übergeben. Und wenn sie dem Lager übergeben waren , wie ging es dann weiter , der normale Gang? Erber: Dann wurden sie in einen Block eingeteilt oder wo sie hinkamen. Wenn Arbeit vorhanden war, gingen sie zu der Arbeit - wenn sie arbeiten konnten oder wenn nicht. Und wenn sie nicht mehr fähig waren zu arbeiten , also wenn sie schon sehr alt waren oder sehr krank waren, was geschah dann mit ihnen? Kamen die in den Krankenbau? Erber: Da war das Revier da, also der Krankenbau, den gab’s ja in jedem Lager dann. Und können Sie sich noch vorstellen, wenn Sie durch das Tor reinkommen - haben Sie da noch heute eine bestimm¬ te Vorstellung? Könnten Sie sich noch sofort wieder zu¬ rechtfinden dort, wenn Sie dahinkommen, nach Ausch¬ witz? Erber: Ja. Könnten Sie die zweite Straße nach dem Eingangstor be¬ schreiben, was für Blöcke das waren? Ich glaube, da war auch die Politische Abteilung in der zweiten Querstraße von vorn? Erber: Wenn Sie von Auschwitz, von der Stadt an der Sola, entlanggingen und gingen dann rechts rein zum Tor, wo die Wache war, da standen drei Steinbauten. Genau 29 wie im Lager drin. Und in diesen drei Steinbauten war in einem auch die Politische Abteilung untergebracht. Und wenn man dann weiterging, kam man auf eine Querstra¬ ße. Ja, dann kam die Straße, die zum Bahnhof runterging. Und wenn Sie da bei den Steinbauten weitergingen, war an der Ecke eine Baracke. Und wenn Sie dann weitergin¬ gen und gingen links, dann standen Sie vor dem Tor, was ins Lager führte. Und wenn man da durchging, wie ging der Weg dann weiter? Da waren, rechts, glaube ich, da war die Küche dann schon. Ja, ein Stück weit zurückge¬ setzt und weiter oben. Weil, links waren gleich die Blöcke und unten war . . . Und das waren alles Häftlingsblöcke schon , links? Erber: Das waren schon Häftlingsblöcke. Und unten, in dem einen Block, war die Aufnahme drin von der Politi¬ schen Abteilung. Wie viele Personen haben Sie da so am Tag aufnehmen können? Erber: Ja, das kam darauf an. Zuerst ging es ja bloß, da waren ja wenig, da kamen ja keine großen Transporte. Die Transporte begannen erst 1942, wie dann die soge¬ nannten RSHA-Transporte kamen. Was ist denn das? Erber: Die vom Reichssicherheits-Hauptamt, die Trans¬ porte, die, die dann vom Ausland kamen usw. Das waren ausgesprochen reine Judentransporte. Und die wurden alle noch registriert? Erber: Nein, die wurden nicht. Da wurden nur die regi¬ striert, die ins Lager kamen. Und die anderen , die nicht ins Lager kamen? Erber: Die anderen wurden auf der sogenannten Ram¬ pe . . . Unterdessen war ja Birkenau schon aufgebaut, dann war auch schon die Rampe fertig. Und wenn ein 30 Zug hereinkam mit dem Transport, mußte der Trans¬ portbegleiter die Leute aufschreiben lassen und aufstel¬ len lassen zum Abzählen. Ich war dazumal bei der Politischen Abteilung und war bei der Aufnahme. Ich mußte ja dem Mann, wenn ich auf der Rampe Dienst hatte, die Zahl bestätigen, daß er sie gebracht hat, soundsoviel. Und dann, wenn der erste gezählt war, der ganze Transport, wurde ja die Bestäti¬ gung abgegeben, also dem Transportführer bestätigt, daß er den Transport abgeliefert hat. Und die mußten die Rampe verlassen, also auch das Wachpersonal, die sie mitgebracht hatten. Und dann fing der Arzt an mit der Selektion. Was ist das? Erber: Also das Aussuchen. Zum Beispiel junge Leute, also die arbeitsfähig waren zu der Arbeit. Und die ande¬ ren mußten in die Gaskammer gehen. Erber war häufig zum Rampendienst eingeteilt. Dabei nahm er sowohl die Aufgaben wahr, die ihm als Leiter der Aufnahme¬ abteilung des Frauenlagers in Birkenau zufielen. Das hieß: Er hatte die Zahl der im Lager aufzunehmenden Häftlinge festzu¬ stellen. Andererseits nahm er jedoch auch an der Aussonde¬ rung der nichtarbeitsfähigen Häftlinge teil. So bestimmte er im März 1943 eine Jüdin namens Lippmann zum Tod in der Gas¬ kammer. Nach den Feststellungen des Frankfurter Schwurgerichts war Erber an insgesamt fünfzig Selektionen beteiligt, bei denen er mindestens jeweils einen Häftling aussonderte. Direkt von der Rampe in die Gaskammer? Erber: Direkt von der Rampe weg. Da wurden sie aber vorher noch einmal gezählt, denn Berlin verlangte von uns, daß haargenau gezählt wird, und auch die Details, also extra gehalten, ob Männer oder Frauen. 31 Kam es denn vor, daß , wenn rf/e Transporte angekommen waren , daß da . . . Lebten da alle noch oder kam es vor , da/? da scftorc einige tot waren? Erber: Also, solange ich dort war auf der Rampe, also, das heißt, wenn ich Dienst hatte auf der Rampe, da war höchstens mal ein oder zweie. Das ist vorgekommen. Entweder von ganz alten Leuten usw. oder was. Aber sonst. . . Ich hab nie einen Transport übernommen, wo soundso viele, eigentlich mehr Tote waren. Haben Sie das gespürt , diejenigen , die in die Gaskammer mußten , daß ihr Leben zu Ende geht? Erber: Also wie dann später, Anfang 1943 usw., da hatte ich das Gefühl, daß es die Leute wußten, wo es hingeht. Denn mir haben nämlich Leute, die hier eingeliefert wur¬ den, eine Frau, und zwar eine Ärztin, die hat mir gesagt, das war aber dann schon später, das war bei den ungari¬ schen Transporten, das war im Juli oder August 44, die zu mir sagte, ihr seid nicht schuld, sondern unsere Leute wollen uns nicht. Was meinte sie damit? Erber: Ich weiß nicht, ob das genau stimmt, aber es dürfte stimmen. Mir wurde mal von einem Juden erklärt, wenn zum Beispiel von Deutschland Judentransporte rausgingen, denn es gingen ja immer. Und da war doch überall der sogenannte Judenrat. Und wenn die zum Beispiel in die Schweiz wollten oder Schweden oder Nor¬ wegen, wurde mir von diesem Mann gesagt, ja, der Ju¬ denrat dort in der Schweiz oder in Schweden, der muß für diese Leute aufkommen, die jetzt dorthinkommen. Und deshalb und gerade aus diesem Grunde nehme ich an, daß kein Land die Leute aufnehmen wollte. Wie ging denn das , können Sie das vielleicht doch mal genauer beschreiben , weil das ja doch auch wirklich eine wichtige Sache ist, diese Beschreibung. Erber: Wenn die Selektion vorbei war, standen jetzt also 32 zwei Gruppen auf der Rampe. Auf der einen Seite dieje¬ nigen, die für arbeitsfähig gehalten wurden . . . Da waren drei Gruppen. Erstens mal die Frauen zu der Arbeit, dann die Männer zu der Arbeit, und die dritte, die ins Krematorium gehen mußten. Da wurden doch aber auch Familien auseinander gerissen? Haben sich da keine schrecklichen Szenen abgespielt? Erber: Ja, ich meine, die haben da miteinander gespro¬ chen und so, aber das lief dort alles ganz reibungslos ab. Weil doch immer Leute bei denen dabei waren, die sag¬ ten: Ach, kommt doch mit. Und so und so weiter. Wurden diejenigen , die für die Gaskammer bestimmt wa¬ ren, dann auf Lastwagen verladen oder . . . Erber: Die erste Zeit wurden bloß die Kranken wegge¬ fahren, also die schlecht laufen konnten usw. Aber später mal, dann kam’s vor, daß ganze Gruppen weggefahren wurden, also größere Gruppen, mit dem Lastwagen. Und die wurden dann bis vor die Gaskammer gefahren? Lagen die Gaskammern neben den Krematorien oder wa¬ ren die integriert in die Krematorien? Wie war das auf ge¬ baut? Erber: Es waren vier Krematorien. Also in Birkenau, von Birkenau spreche ich. Ein kleines war in Auschwitz, aber das ist 1943 am Kamin geschleift worden. Da war’s dann nicht mehr in Tätigkeit. Aber zum Beispiel drau¬ ßen, da war I und II, die lagen in der Verlängerung der Rampe. War links I, rechts II, wenn sie auf die Kremato¬ rien zugingen. Das waren die großen. Die hatten ein Fassungsvermögen von dreitausend Leuten. Da konnten dreitausend Leute auf einmal ins Gas ge¬ schickt werden? Erber: Ja, aber soviel kamen nie zusammen, weil nie zwei Transporte zusammen kamen. Weil ein Transport immer nach dem anderen abgefertigt wurde. 33 Und während der Zeit stand der nächste Transport schon irgendwo außerhalb von Auschwitz? Erber: So schlimm war es ja nicht. Ich meine, daß sie so hintereinander gekommen sind. Bloß wie dann die Un¬ garn-Transporte kamen. Da kamen drei bis vier Trans¬ porte am Tag. Herr Erber , wie groß war die Kapazität der Transporte? Wie viele Menschen kamen auf die Rampe? Erber: Ganz verschieden. Das konnten zweihundert sein, das konnte bloß ein Lastwagen sein, es konnten zweitausend sein. In welchem Jahr kamen denn die meisten Transporte? Erber: Also, die meisten Transporte kamen 1944, weil da Ungarn war und so. Wie groß war etwa der Anteil derjenigen , die arbeiten mußten und derjenigen , die direkt in die Gaskammern geschickt wurden? Erber: Man kann als Anteil rechnen mit 30 Prozent zu der Arbeit. Und 70 Prozent in die Gaskammern? Erber: Und 70 Prozent kam weg. Ich meine, es war eine sehr schlimme Sache. Aber wir durften nicht darüber reden und gar nichts. Denn von uns, wir hatten uns schon 1941 weggemeldet. Ich hab es dreimal versucht, und 1942, ich weiß nicht, war’s im August oder im September, da kam ein Führerbefehl: Der Dienst in Auschwitz ist Frontdienst. Das heißt mit anderen Worten, wer dort ist, kann sich nicht wegmelden. Denn von der Front kann sich kein Soldat wegmelden. Anfang Oktober 1944 kam ein Transport weiblicher Häftlinge in das Frauenlager Birkenau. Dieser Transport war noch keiner Selektion auf der Rampe unterzogen worden. Erber und ande¬ re SS-Leute holten das im Frauenlager nach. Dabei bestimmte 34 er unter anderem eine Frau zum Gastod, die sich nicht von ihrem Kind trennen wollte. Ebenfalls einen Mann mit einem etwa sechsjährigen Kind. Als dabei Frauen zu weinen anfingen, war Erber darüber so verärgert, daß er auch den Rest der Häftlinge zur Vergasung bestimmte. Das waren mindestens hundert Menschen. Haben Sie sich als Soldat empfunden dort? Erber: Ja, wir waren ja direkt eingezogen und so. Ja, unter soldatischer Tätigkeit versteht man normalerwei¬ se etwas anderes, Dienst an der Front oder zu Hause in der Ausbildung von Soldaten . Erber: Ja, aber, wer sollte sich weigern? Wenn Sie das heute sehen, finden Sie, daß das richtig war, was dort geschehen ist oder finden Sie . . . Erber: Nein. Da ist mir ein Fall passiert. Wir hatten jede Woche Dienstbesprechung. Und nach Ende einer Dienstbesprechung da sagte ich zu meinem Nebenmann - unsere Abteilung war 24 Mann stark - da sag ich . . . Die Politische Abteilung oder die Aufnahme? Erber: Die Politische Abteilung. Und da sag ich zu mei¬ nem Nebenmann, ich sag, muß das sein? Könnte man das nicht anders machen? Und das hat mein Chef gehört, das war dazumal der Untersturmführer Grabner, er war Kri¬ pomann von Beruf, von der Polizei, das war unser Chef. Der hat bloß gesagt, und sagt zu mir, wieso kannst du so was sagen? Wie’s dann Schluß war, hat er mich extra geholt - da waren bloß noch ein paar Leute drin -, er sagt, wenn einer von denen spricht, dann ist es soweit. Denn sie durften ja nicht einmal darüber sprechen. Denn bei uns, bei der Politischen Abteilung, da kamen extra noch Leute von der Gestapo-Leitstelle Kattowitz, Polizeioffiziere, die haben uns extra noch auf die Schweigepflicht extra auf¬ merksam gemacht. Weil das war, deshalb. Weil, ich 35 kriegte ja von der Kommandantur die Fernschreiben. Zum Beispiel, daß ein Transport kommt. Und in dem Fernschreiben war ja auch angegeben von Berlin aus, was mit dem Transport zu geschehen hat, wie mit ihm verfah¬ ren werden soll. Denn es war nicht Willkür der Leute von Auschwitz, daß die einfach sagten, die gehen da oder dorthin. Nee, das wurde bestimmt, denn es kamen ja auch Transporte, wo keiner wegkommen durfte, die alle ins Lager gehen mußten, und es kamen Transporte, wo nicht ein einziger zu der Arbeit ausgesucht werden mußte. Das war aber nicht von Auschwitz aus, das war alles von Berlin aus. Wann haben Sie zum erstenmal das Gefühl gehabt, daß das ein Unrecht ist, was da passiert? Erber: Das erste Mal, das war schon Ende 1941, weil ich gesehen hab, wie man zum Teil mit den Leuten um¬ ging. Können Sie darüber mal ein bißchen was erzählen? Erber: Na ja, es wurde, wollen wir’s mal so sagen, einzel¬ ne wurden sehr hart angefaßt. Und uns hat es dort nicht gefallen. Denn, schauen Sie, ich war im Ersten Weltkrieg war ich auf Grund meines Ge¬ burtsortes, den Sudeten, war ich österreichischer Soldat. 1920 hat die Tschechei mobilisiert gegen Ungarn, weil dort der Karl, der ehemalige Kaiser Karl, wollte Buda¬ pest besuchen, da war ich tschechischer Soldat. Bloß ich war nie Berufssoldat, sondern immer nur gezogen. Und auch dann wieder, also 1940. Und das hat uns nicht gefallen, das hat mir nicht gefallen, deshalb wollte ich weg. Aber Sie sahen keine Möglichkeit, da weg . . .? Erber: Nee, ich hab es Ihnen ja eben geschildert, wie das war. Ich habe dreimal ein Gesuch gemacht, und dann kam der Befehl heraus, daß Auschwitz Frontdienst ist und da war jede weitere Meldung vorbei. 36 Was mir nicht ganz verständlich ist, ist , daß es überhaupt keine Möglichkeit gegeben haben soll , da herauszukom¬ men. Können Sie mir das mal verständlich machen? Erber: Ja, schauen Sie, ich glaube, man hat von allem Anfang an gesagt: Halt, bei den Konzentrationslagern, wenn wir da Leute rauslassen, da könnte zuviel ge¬ redet werden. Ich nehme an, daß das ein Grund dazu war. Haben Sie niemals außerhalb von Auschwitz über das , was in Auschwitz passierte , geredet gegenüber Verwandten , wenn Sie nach Hause kamen oder im Lazarett? Haben Sie da geschwiegen? Erber: Ich hätte, wie dort die Verhältnisse waren, glaub ich, daß kaum nur einer gesprochen hätte, wenn er nicht hundertprozentig sicher gewesen wäre, daß man nicht draufkommt, daß er es gesagt hat. Also man kann sagen , daß der Terror auch die Leute betraf , die da eingesetzt waren von der SS in Funktionen in Auschwitz? Erber: Ja, selbstverständlich. Bei jedem Wachtposten, also für die ganzen Leute, die dort Dienst gemacht haben. Wenn man soviel menschliches Leid sieht , wie es gewesen ist in Auschwitz , gibt es da nicht doch Stunden , Minuten oder ganze Tage oder ganze Wochen , in denen man zu¬ mindest Mitleid empfindet mit diesen Menschen? Erber: Aber, schauen Sie, es waren jedem einzelnen Mann waren praktisch die Hände gebunden. Denn da hat’s schon wieder zuviel Aufpasser gehabt. Wir konnten ja keinem nicht trauen. Wir konnten uns nicht einmal mit den eigenen Kameraden offen darüber reden, weil wir nicht wußten, ob nicht einer geht, und wenn man . . . Jeder Mensch weiß doch heute, wie es dazumal war. Da hätte man keine Zeugen verlangt oder was. Das hätte vollständig genügt, wenn man das gesagt hätte. 37 Wurden auch im Stammlager schon Gefangene getötet? Erber: Ja, und ich glaube, das war 1941. Aber das hab ich erst später erfahren. Da war ich noch nicht bei der Politi¬ schen Abteilung. Was ist da passiert? Erber: Die hat man in dem Block 11, das war der soge¬ nannte Bunker, da hat man Räume unten dichtgemacht und hat Leute vergast, das erste Mal, wo überhaupt ver¬ gast wurde mit dem Blausäurepräparat, mit dem . . . Und haben Sie auch gesehen, wie Menschen erschossen wurden an der Schwarzen Wand? Erber: Nein. Haben Sie das . . . Erber: Dort bin ich nie hingekommen. Ich wußte wohl, wo die Schwarze Wand ist, aber ich hatte nichts zu tun dort bei den Erschießungen, weil ich bei der Aufnahme war. Haben Sie von den Erschießungen gehört? Erber: Bitte? Haben Sie davon gehört, daß da Menschen erschossen wurden? Erber: Ja, da kam 1941 und 1942, kam da jede Woche so ein Schnellgericht, wie sie dazumal waren, und die haben die Todesurteile dort in Auschwitz ausgesprochen. Und was mußte man getan haben, um zum Tode verurteilt zu werden? Was hat da schon gereicht? Erber: Ja, das war von draußen. Meistens vielleicht Poli¬ tische und so, wegen Hochverrat usw. Sie wissen doch, daß dazumal die Todesstrafe darauf war. Und so. Nun ist aus den Gerichtsverhandlungen ja auch hervorge¬ gangen, daß dort willkürlich verurteilt worden ist, daß da 38 also Häftlinge auch wegen ziemlicher Kleinigkeiten in die Stehzellen gebracht wurden und dort halb tot heraus geholt und dann erschossen wurden. Haben Sie von diesen Din¬ gen auch etwas gehört? Erber: Nein, von den Sachen, weil ich da nichts mit zu tun hatte. Und ich sag Ihnen ehrlich, wenn’s uns nichts an¬ ging, wissen Sie, da sind sie gar nicht gern damit in Berüh¬ rung gekommen usw., überhaupt nicht. Weil man ja selbst Not und Leid genug gesehen hat. Wie war der Ablauf des Tages für Sie? Erber: Normalerweise . . . Zuerst war ich da in Ausch¬ witz in der Schreibstube drin und da hab ich bearbeitet, also, ich mußte rausfahren, zum Beispiel, bei der Flucht erschossen und bei Selbstmord. Da fuhr ein Sanitäter mit, dann ein Fotograf vom Erkennungsdienst und einer von der Politischen Abteilung. Da mußte der Schütze festge¬ stellt werden, dann Name und Nummer von dem Toten, dann mußte eine Fluchtskizze gemacht werden. Der von der Sanitätsabteilung, der mußte den Tod feststellen und der Erkennungsdienst machte ein Bild von dem Toten. Gab es Häftlinge , die den Tod gesucht haben? Erber: Ja, auch, denn drumherum war ja Starkstrom. Die in den Draht reingesprungen sind. Was haben Sie abends gemacht? Der Dienst war um acht¬ zehn Uhr zu Ende , neunzehn Uhr? Erber: Das war keine geregelte Dienstzeit. Denn es ka¬ men ja Transporte, und die kamen ja nicht über den Tag, die kamen vielleicht abends oder in der Nacht. Da wurde man geweckt, da mußte man eben hinfahren. Erber war an Selektionen beteiligt, die in gewissen Zeitabstän¬ den im Lager stattfanden, um die mittlerweile durch Schwäche und Krankheit arbeitsunfähig gewordenen Häftlinge auszuson¬ dern. Das geschah meist während eines Appells oder einer 39 Entlausungsaktion. Bei einer derartigen Selektion im August oder September 1942 mußten weibliche Häftlinge über einen Graben springen. Wer das nicht schaffte, wurde vergast. Haben Sie überhaupt keine freie Zeit gehabt , haben Sie nur Dienst gemacht? Erber: Ja, doch. Also so war jeden Tag Dienst. Nur mit der Nacht haben wir uns abgewechselt, da ging einmal der - wir waren ja mehrere Mann bei der Aufnahme da ging einmal der, dann einmal ein anderer. Aber wenn sie über den Tag da waren, dann bin ich selbst rausgegangen. Deswegen sind Sie auch verurteilt worden? Erber: Ja. Warum sind Sie verurteilt worden? Erber: Na ja, ich hab zum Beispiel erstens mal in fünfzig Fällen lebenslänglich gekriegt, weil das Gericht ange¬ nommen hat, der war fünfzigmal auf der Rampe, und da hat er jedesmal noch einen für sich extra ausgesucht. Und das kann ich ja ruhig jetzt mitsagen, der Herr Dr. Lucas, der hat einen Freispruch gekriegt, der war als Lagerarzt mit dort. Auch dem seine Leute, die er für die Gaskam¬ mern rausgesucht hat, mußte ich zählen. Und ich hatte, weil ich die Leute dreimal zählen mußte praktisch, hatte ja gar keine Zeit, da jemand hätte rausgesucht. Sie fühlen sich zu Unrecht verurteilt? Erber: Ja, ich war mal dort, ohne mein Wollen. Denn ich hab mich nicht freiwillig hingemeldet. Ich bin regelrecht eingezogen worden und wurde hinkommandiert. Wenn Sie heute an diese Zeit denken , welche Empfindun¬ gen haben Sie da? Erber: Daß wir eine ganz schwere Zeit durchgemacht haben. Denn auch das ist nicht spurlos bei uns vorüberge¬ gangen. Oder wenigstens nicht bei mir. Aber ich konnte es nicht ändern. 40 Was glauben Sie, was schätzen Sie, wie viele Menschen sind in der Zeit, die Sie in Auschwitz waren, die Sie beob¬ achten konnten, wie viele Menschen sind dort getötet, ver¬ gast worden? Erber: Na ja, es können meiner Schätzung nach so fast eine halbe Million gewesen sein. Was hat man mit den Leichen gemacht? Erber: Ganz zuerst hat man sie eingegraben. Die verga¬ sten Leute. Dann ist aber nach einiger Zeit ist das Blut¬ wasser raufgetreten. Das hat sich gehoben das Ganze. Da hat man sie wieder ausgegraben und alle verbrannt. Und dafür waren dann ja die Krematorien da. Die sind ja 1943 in Betrieb genommen worden. Vier Stück. Und hat man das gemerkt - am Lichtschein oder an ande¬ ren Dingen daß dort Menschen verbrannt wurden? Erber: Ja, erstens mal, bei den Kaminen, denn es waren ja immerhin Hitzegrade von 1500 bis 1800 Grad. Da ist es, als wenn zum Beispiel bei den Porzellanfabriken, wie sie früher das Porzellan gebrannt haben, da war ja auch von dem Gas ein bis zwei Meter hohe Flamme oberhalb vom Schornstein, und so war es dort. Dann hat man den Geruch durch das Verbrennen von Menschen, hat man ja bis beim Bahnhof gerochen. Verfolgt Sie dieser Geruch heute noch? Erber: Bitte? Verfolgt Sie dieser Geruch heute noch? Erber: Ja, ich meine, wir konnten nichts ändern. Was ist mit der Asche der Leichen geschehen? Erber: Die Asche ist zum Teil in die Sola, zum anderen Teil war noch der Fluß dort, in die beiden Flüsse gewor¬ fen worden. 41 Wer hat das gemacht? Erber: Die Kommandos von den Dings, von den Krema¬ torien. Was waren das für Kommandos? Waren das Häftlinge oder SS-Leute? Erber: Das waren Häftlinge, meistens Juden. Woraus bestanden die Kommandos? Wer war das? Erber: Da waren erstens mal für jedes Kommando zwei Kommandoführer und dann die Häftlinge, die beim Aus¬ kleiden der Leute behilflich waren, die dann die Toten vom Vergasungsraum, bei den großen zwei Krematorien, bei I und II, da waren ja der Entkleidungsraum und der Vergasungsraum unten im Keller. Aber die Häftlinge in den Kommandos, die wußten doch, daß die Ankommenden vergast werden sollten. Haben diese denen das nicht gesagt, ihr werdet jetzt vergast? Erber: Nein. Hatten die Angst, daß sie da gleich erschossen werden, oder warum haben sie das nicht gemacht? Da hat doch sicher Gelegenheit dazu bestanden? Erber: Da bin ich überfragt. Weil aus welchem Grunde sie es gemacht haben, weiß ich nicht, aber meiner Ansicht nach war es um das Überleben. Aber sie haben nicht überlebt? Erber: Doch, von den Kommandos leben noch ein ganz paar Leute. Im November 1944, zu einem Zeitpunkt, als die Vergasungen bereits eingestellt waren, wurde eine Gruppe von etwa 170 kranken oder schwachen Häftlingen ins Lager gebracht. Der Führer dieses Transports fragte Erber, was denn mit den Häft¬ lingen geschehen solle. Erbers Antwort: «Weg mit dem Dreck.» Die Häftlinge wurden getötet. 42 Ist es nicht so , daß die Kommandos nach einer gewissen Zeit auch alle vergast wurden? Erber: Das eine Kommando ist vollständig von Ausch¬ witz weggekommen, aber ich weiß nicht wohin, nach Majdanek oder irgendwohin; und das war das Komman¬ do, das die Leichen wieder ausgegraben hat. Aber die anderen Kommandos sind geblieben. Denn wir haben ja noch Leute davon, die seit 1941 oder 1942 bei den Kom¬ mandos waren. Die leben ja noch. Juden? Erber: Ja. Aber hat man nicht befürchtet y daß die einmal alles sagen werden , was da geschehen ist? Wenn die mal freikommen? Erber: Na ja, ich meine, ich nehme an, daß die nicht einmal soviel reden werden, weil sie wahrscheinlich auch mit der Angst leben müssen, daß die anderen sagen: So, ihr habt ja da noch mitgeholfen. Was ist denn geschehen , als das Lager geräumt wurde? Ich glaube , Sie waren dabei , als das Lager geräumt wurde? Erber: Ja. Wie lief das ab? Wurde alles vernichtet , wurden alle Unter¬ lagen vernichtet? Können Sie das alles mal erklären? Erber: Die Unterlagen sind nicht alle vernichtet worden. Die sind abtransportiert worden. Bloß das übrige Drum und Dran, was so nicht gebraucht wurde, nicht direkt als Unterlagen, das ist wohl verbrannt worden. Als ein aus Theresienstadt kommender Transport im Frauenla¬ ger selektiert wurde, schickte Erber eine Mutter mit ihrer etwa zehn Jahre alten Tochter zur Gruppe der Nichtarbeitsfähigen, die vergast wurden. Das geschah, nachdem er der Mutter er¬ folglos befohlen hatte, sich von ihrem Kind zu trennen. 43 Aber es hat ja auch nie exakte Unterlagen darüber gege¬ ben , wie viele Menschen da vergast worden sind , nicht? Erber: Nein, weil, da durfte nichts aufgehoben werden von vorneweg nicht. Warum nicht? Erber: Tja, wir haben bloß, zum Beispiel, wenn ich den Transport gezählt hab, da hab ich bloß draufgeschrieben, Transport soundsoviel stark, die Zahl, zur Arbeit, Frauen soundsoviel in Prozenten und soundsoviel Männer, ins Gas soundsoviel Prozent. Also , Sie hatten einen Überblick darüber , wieviel Men¬ schen ins Gas geschickt wurden? Erber: Ja, bei dem Transport, ja, den ich übernommen hab. Weil ich ja die Zahlen feststellen mußte. Herr Erber , es gibt heute Menschen , und ihre Zahl nimmt eher zu und geht auch bis hin zu Erziehern , es gibt Men¬ schen , die behaupten , in Auschwitz hätten nie Vergasun¬ gen stattgefunden. Was sagen Sie dazu? Erber: Dazu ist folgendes zu sagen. Ich hatte mir mal das Buch bestellt: . Das ging um die sechs Millionen Toten, was man sagt. Und darunter fand ich unter anderem, daß man in dem Buch schrieb, da waren keine Todesfabriken usw. usw., keine Krematorien und das, und da hab ich an den Verlag geschrieben, also an die Verkaufsstelle des Buches, und sie gebeten, sie sollen mir die Anschrift vom Verfasser geben. Und nach einiger Zeit haben sie sich gemeldet, und da wurde mir gesagt, der Verfasser ist tot und der Verlag ist in Oberfranken und sie wären interessiert daran, wenn ich’s ihnen schreiben würde. Und da hab ich ihnen klipp und klar geschrieben, das stimmt nicht, denn die Krematorien waren wirklich da, die sind erst bei der Lagerräumung oder zuvor, weil im Oktober 1944 ist jede Vergasung eingestellt worden, und da sind die Kremato¬ rien abgerissen worden, regelrecht abgetragen. Und die 44 Eisenteile, die wurden in Waggons verladen und sollten nach Mauthausen in Österreich. Denn ich versteh nicht, denn das ist mal geschehen, warum man da heute noch kommt, das ist überhaupt nicht wahr usw. Das kann ich nicht verstehen. Haben Sie dafür eine Erklärung? Erber: Ja, entweder wissen es diese Leute wirklich nicht oder sie wollen den anderen Leuten Sand in die Augen streuen. Denn was mal passiert ist, das kann man doch nicht mehr wegleugnen. Das ist doch eben geschehen. Würden Sie heute sagen, daß das Unrecht war, was da geschehen ist? Erber: Das haben wir schon dazumal gesagt. Aber wir hatten ja ein Schloß am Mund. Wir durften ja nicht reden darüber. Denn sofort kam ja die Drohung. Aber es gab doch sicher auch einige derjenigen, die dort Dienst taten, die das für richtig empfanden, die ja auch nachgeholfen haben und die ihre Henkersarbeit gern getan haben? Oder glauben Sie, es gab solche nicht? Erber: Also mit dem Gerngetanhaben, das glaub ich nicht. Aber, na ja, zu Ihnen kann ich’s schwer sagen. Sie kannten diese Zeit nicht. Aber wenn man heute aus den Büchern liest usw., wie der Drill war und das alles und jedem Menschen ist doch meiner Ansicht nach das Hemd lieber als wie der Rock. Denn wenn er wirklich was sagte, das geringste, was ihm passiert war, er hätte bloß gleich seine Uniform getauscht, ohne die anderen Folgen. Schauen Sie, weil Sie so was sagen, warum haben diese Leute nicht gesprochen. Von den Ministerien, von der Partei kamen doch fast jede Woche ein oder zwei von den Herren und haben sich von dem Transport, von der An¬ kunft bis zu seinem bitteren Ende alles angesehen. Warum haben denn die nicht gesprochen? Oder warum haben denn die die Leute nicht aufmerksam gemacht, daß sie das nicht tun dürften? 45 Herr Erber , wie lief im Stammlager der normale Häftlings - all tag ab? Erber: Da kann ich eigentlich nicht viel darüber sagen. Da fragen Sie doch die Leute, die dann kommen, aus dem einfachen Grund, weil ich nicht direkt drin war. Sie waren immer nur außen vor dem Haupteingang? Erber: Ja. Nein, ich hatte auch im Frauenlager hatte ich direkten Dings, die Schreibstube drin, die Aufnahme im Lager, aber da haben wir uns, wir sind ja später gekom¬ men, also bevor der Betrieb im Lager losging. Wenn da in Birkenau auf der Rampe so ein Transport ankam , wie würden Sie die Stimmung beschreiben , die dort auf dieser Rampe war? Die Menschen waren ja schließlich Stunden, tagelang in Waggons eingepfercht ge- wesen f und für Sie war das Routine . Da muß ja eine ganz merkwürdige Situation zwischen Menschen geherrscht ha¬ ben? Können Sie das mal beschreiben? Erber: Das kam ganz darauf an, wo sie herkamen. Schau¬ en Sie, wir kriegten Transporte, die zum Beispiel von Frankreich kamen, die kamen in Pullman-Wagen an. Dann kriegten wir Transporte, die in D-Zug-Wagen, in anderen D-Zug-Wagen ankamen. Dann kriegten wir Transporte, die noch so Waggons hatten, also von den normalen Zügen, den Bummelzügen, wie man sagte. Dann kriegten . . . Die meisten Transporte kamen natür¬ lich in den Viehwagen, also in den Pferdewagen, also Viehwagen. Und wenn der Transport ankam, wurde er also in Birkenau draußen auf der Rampe wurde zuerst einmal die Lok abgekoppelt. Die fuhr weg. Da war die Bereitschaft schon da, die die Postenkette gestellt hatte. Dann war da die Politische Abteilung, vom Revier waren sie da, der Arzt, der jeweilige Lagerarzt, der in Birkenau Dienst hatte an dem Tag, bei dem Transport. Dann war dort die Kammer, also von der Effekten- kammer, wegen der Kleidung und so wegen dem Zeug, was sie mitbrachten. Und wenn der Transport ankam und 46 alles umstellt war praktisch, aber nicht so Mann an Mann direkt, sondern in ziemlicher Entfernung, dann mußte der Transportleiter, der den Transport gebracht hat, der mußte die Türen aufmachen und die Leute rausstellen, in Fünferreihen aufstellen, damit ich sie abzählen konnte, oder der gerade von uns Dienst hatte dort. Dann ging man mit dem, ich hatte in Birkenau, unmit¬ telbar an der Rampe war eine Blockführerstube, das war vorm Frauenlager, dort hatte ich auch zwei Räume, da hab ich den Transportführer dort die Belegstärke, die er gebracht hatte, also die Zahl bestätigt und hab ihm den Schein übergeben. Wenn die weg waren, die Zugbeglei¬ tung mit der Begleitmannschaft, dann wurden die Leute in Extrareihen aufgestellt, die, die beim Arzt Vorbeige¬ hen mußten. Und der hat dann also die ausgesucht, die ins Lager gehen mußten und die ins Gas gehen mußten. Und die Leute wurden extra aufgestellt. Da wurden erstens mal die Frauen aufgestellt, die ins Frauenlager gingen, dann die Männer, die ins Männerlager gingen und der dritte Dings waren dann die Leute, die ins Gas gehen mußten. Und dann kam, wenn das so weit fertig war, kam ein Kommando, sogenanntes Aufräumungskommando, die haben die Waggons alle leergemacht, da war oft noch Gepäck drin usw. Man hat den Leuten gesagt, das könnt ihr drinlassen. Denn nur bei Schutzhäftlingen mußte ja alles aufgenommen werden, auch die Geldbeträge usw. Aber das waren ja RSHA-Transporte, da wurde ja nichts aufgenommen. Also ihre Habe war ja eigentlich weg in dem Moment, wo sie dorthinkamen. Na, die Leute ... Es gab oft ein bissei Hin und Her, weil, die wollten doch beisammenbleiben und so. Aber es ist nie ausgeartet oder so weiter, wissen Sie, daß Gewalt angewendet werden mußte oder was. Denn die Devise lautete: An der Rampe alles so ruhig wie möglich, daß alles in Ruhe abläuft. 47 Es hat ja einmal einen Aufstand gegeben in einem Krema¬ torium? Erber: Das hat aber mit einem Transport nichts zu tun. Das ist eine . . . Das war im Oktober 1944. Aber ich weiß das Datum nicht mehr so genau . . . Da war folgendes . . . Man hat darüber verschiedene Bücher geschrieben, aber ich hab die gelesen, aber keins gibt die richtige Dings an. Daß da angegeben wurde, die Leute wurden ausgesucht vorher, den Tag vorher usw., daß sie sollten vernichtet werden, das war ja dazumal noch gar nicht, weil, da hätte ja kein Mensch daran gedacht, weil das Vergasen ja dazu¬ mal noch gar nicht eingestellt war und immer noch Trans¬ porte kamen. Meine Ansicht, also das ist meine persön¬ liche Meinung, ging die Sache von anders aus. Da war doch, in den Lagern hatte sich so eine Wider¬ standsgruppe gebildet, und ich nehme an, die haben ge¬ dacht, wenn die dort draußen - weil die Krematorien ja abgesondert sind von den anderen Lagern waren-, wenn da was inszeniert wird, dann könnte man auch in den Lagern etwas machen. Also das ist meine persönliche Meinung. Und da ist ihnen aber ein Fehler unterlaufen. Das Krematorium III, das war nicht in Betrieb, dort haben bloß Leute drin geschlafen usw. und dort haben sie . . . Im Krematorium haben Leute geschlafen? Erber: Ja, in jedem Krematorium haben Leute geschla¬ fen, da war oben noch ein Raum, wo sie drin geschlafen haben, das Kommando. Die haben direkt in dem Krema¬ torium gewohnt, und das Essen wurde ihnen vom Män¬ nerlager hingeholt. Einmal sah Erber die etwa sechzehn Jahre alte Edith Steiner weinend vor einem Unterkunftsblock stehen, in dem ihre Schwester an Typhus gestorben war. Als er den Grund der Trauer des Mädchens erfuhr, erklärte Erber sinngemäß, er werde es einrichten, daß die beiden Schwestern wieder zusam¬ menkämen. Er ließ das Mädchen auf einen Lkw, auf dem die 48 Typhus-Toten zum Krematorium transportiert wurden, auf¬ steigen, zu den Gaskammern fahren und vergasen. Das Kommando konnte das Krematorium nicht verlas¬ sen? Die haben nur dort gegessen, geschlafen und die . . . Erber: Ja, die hatten den Hof, die . . . . . . Opfer verbrannt? Erber: Wenn kein Betrieb war, konnten sie in den Hof rausgehen, da haben sie Fußball gespielt usw. Und das, das konnten sie. Aber Sie selbst mußten auch immer damit rechnen, am nächsten Tag auch nicht mehr leben zu können? Erber: Eigentlich-ja. Herr Erber, können Sie noch etwas berichten über die soziale Lage der Häftlinge, die zunächst einmal nicht ins Gas geschickt wurden und arbeiten mußten? Wie waren die sanitären Umstände, wie haben die gewohnt, wie waren sie unter gebracht? Erber: Außer in dem Stammlager, wo diese Steingebäu¬ de waren, waren ja alles andere diese sogenannten Pfer¬ debaracken, und dort waren sie untergebracht. Die Ver¬ pflegung war, na ja, leicht, sehr schwach, bedingt viel¬ leicht durch den Krieg usw. Sind viele auch gestorben? Erber: Ja, ja. Da war doch 1941/42 war doch die große Fleckfieberepidemie, da sind sehr, sehr viele gestorben. Ich schätze so die Toten durch Erschießungen und durch die Epidemien usw. auf 180000, wenn nicht mehr. Haben Sie sich nicht manchmal wie in einer Hölle gefühlt dort? Erber: Ja, es war schwer für alle, nicht nur für die Gefan¬ genen, auch für die Dings. Denn wir mußten, wir konnten nicht einfach weg usw., man konnte nicht sagen, so, jetzt 49 mag ich gar nicht mehr, ich geh sonstwohin, oder was. Da war ja der militärische Druck da. Haben Sie mal persönlichen Kontakt zu einem Häftling gehabt? Erber: Ach, wir haben mit allen gesprochen, so was war, auch bei den Kommandos und so, wenn wir mal zufälli¬ gerweise rausgefahren sind oder was. Was unterscheidet denn die Situation von dem Gefängnis , in dem Sie sich jetzt hier befinden mit der Situation , die damals in Auschwitz herrschte? Erber: Na ja, also hier habe ich meine Zelle, und es ist ja überall gleich. Wissen Sie, die waren natürlich, bei ihnen, da gab’s keine verschlossenen Türen. Die konnten, wenn sie hereingekommen sind von dem Arbeitskommando, konnten sie auf der Lagerstraße Spazierengehen, die konnten miteinander reden, auch von den anderen Ba¬ racken usw. Aber über ihnen schwebte eigentlich immer das Todesur¬ teil? Erber: Ja, und wir waren verurteilt, nichts für diese Leute tun zu können. Waren Sie einmal Nationalsozialist? Erber: Ja, ich war bei der Partei, und zwar, ich war bei der Sudentendeutschen Partei, und wir wurden doch au¬ tomatisch in die NSDAP übernommen. Haben Sie an Adolf Hitler geglaubt? Erber: Ja, hier ist etwas anderes. Schauen Sie, ich hab in der heutigen Tschechei gewohnt. Dort hat man die Deut¬ schen, also die Sudeten waren ja fast einwandfrei deutsche Sprachgebiete, da hat man, da ist man bis in die Industrie gegangen und gutbezahlte Arbeit, da hat man versucht, dort überall Tschechen unterzubringen. Und das war vielleicht ein Grund mit, warum so viele gedacht haben, es wird besser, wissen Sie? Weil, die Leute haben 50 sich mit der Zeit übrig gefühlt dort. Früher, wie ich noch zur Schule ging, und noch vorm Ersten Weltkrieg und so, ja, da waren das lauter Deutsche, und die paar tschechi¬ schen Familien, die in unserem Gebiet wohnten, die ha¬ ben sich ganz gut miteinander vertragen. Aber dann, wie man zuerst bei der Bahn, bei der Post usw. den Deutschen die Ämter weggenommen hat und hat Tschechen dafür eingesetzt, und dann hat man’s auch auf die Industrie übertragen, da haben sich die Leute verunsichert gefühlt. Denn heute passiert’s dem, morgen kann’s dem anderen passieren, daß er seine Arbeit los war. Haben Sie die Befehle , die aus Berlin kamen und die hießen , daß diese Menschen nur , weil sie einer anderen Rasse zugehörig waren y daß diese Menschen umgebracht werden müssen; haben Sie sich diese Auffassung in Ausch¬ witz auch zu Ihrer eigenen gemacht? Erber: Ich hab schon zweimal erklärt, daß wir es nicht für richtig befunden haben, aber wir waren machtlos, dage¬ gen etwas zu tun. Ende Oktober oder Anfang November 1942 wurde auf einer Wiese außerhalb des Lagers ein sogenannter Generalappell durchgeführt. Die Häftlinge standen einen ganzen Tag auf dieser Wiese und mußten am Abend durch das Lagertor laufen. Erber und andere SS-Leute prüften dabei ihren Kräftezustand und bestimmten die Schwächsten zum Tod in den Gaskam¬ mern. Würden Sie heute noch mal - vor dieser Situation stehend, daß Sie einen Marschbefehl nach Auschwitz bekommen und da nach wenigen Tagen erkennen , was dort vor sich geht - würden Sie das gleiche alles noch mal mitmachen? Erber: Nein. Wie würden Sie sich heute verhalten? Erber: Durch die Zeit heute ist ja nicht mehr der unbe- 51 dingte Gehorsam als wie’s früher einmal war. Denn heute gibt man ja, wenn man so liest in der Bundeswehr usw., wenn’s zum Beispiel Manöver gibt oder irgendwas, und er kann wohl in ein Getreidefeld reinfahren, er kann es zusammenwalzen, er braucht aber nicht. Also folgedes- sen kann er von seinem Befehl abweichen. Was es aber dazumal nicht gab. Denn, schauen Sie, ich war in Öster¬ reich Soldat, ich war dann bei den Tschechen Soldat und war dort, aber das Drucksystem beim Militär war überall doch dasselbe. Da hat kein Staat eine Ausnahme gemacht. Haben Sie , nachdem der Krieg zu Ende war , gab es da mal einen Zeitpunkt , wo Sie auch um Ihr Leben gefürchtet haben , wo Sie gedacht haben , das muß sich doch für mich irgendwann einmal rächen , daß ich dabeigewesen bin? Erber: Ich bin gleich nach dem Krieg, weil, ich war zuletzt, zuerst kam ich von Auschwitz nach Mauthausen und dann kam ich zu der Kampfgruppe Oberdonau. Und von dort ging ich in amerikanische Gefangenschaft. Und die haben auch gewußt, wo ich herkomme und daß ich dort war. Da haben die mich den Franzosen angeboten und haben mich den Polen angeboten, und die wollten nichts von mir. Und da hat mich der Amerikaner am 24. Dezember 1947 entlassen. Wenn Sie gefragt würden f wer an Auschwitz Schuld hat , wer schuldig ist an Auschwitz , was würden Sie sagen? Erber: Weil die Leute, die die Befehlsgewalt hatten, und die Leute von der Partei, die es gewußt haben, weil die alle geschwiegen haben und mitgemacht haben. Denn wenn man heute herkommt und versucht oder schreibt es öffentlich, ja, das hat Auschwitz gemacht, die Regierung wußte da gar nichts davon, das kann ich nicht verstehen. Weil es zu viele Leute von denen gesehen haben. Und wenn man den Dienstweg da kannte oder wie er war, dann kann ich doch nicht heute sagen, wenn, weiß Gott, ein Gauleiter da war oder sonst ein Mann oder vom 52 Ministerium und der sagt, ja, die Regierung hat nichts gewußt. Also, zusammenfassend gesagt, wer, würden Sie sagen, ist schuldig an Auschwitz? Erber: Erstens mal, was dazumal die Regierung war, denn ohne deren Wissen hätte das ja gar nicht gebaut werden können usw. Und gibt es andere Schuldige? Erber: Denn, schauen Sie, ich hab Ihnen ja schon gesagt, bei jedem Fernschreiben stand genau drauf, was von Berlin, also das war bei den RSHA-Transporten, wie mit den Leuten zu verfahren ist. Haben Sie diese Fernschreiben gesehen, in der Hand gehabt? Erber: Ja, selbstverständlich. Und da stand drauf, zu selektieren . . . Erber: . . . oder von dem Transport, daß für die Arbeits¬ stellen Leute rausgenommen werden. In dieser Form. Und wie wurde der Gastod in diesen Schreiben um¬ schrieben? Erber: Ja .. . Stand da drin, die anderen sind zu vergasen? Oder was stand da drin? Erber: Nein - «Zu verfahren wie vorgeschrieben». Also, das war ja eine interne Sache, das haben ja die gewußt. Oder man hat noch eine Abkürzung dafür gebraucht, aber die ist mir momentan nicht geläufig. - SB - Sonderbehandlung. Und was war Sonderbehandlung? Erber: Ja, wenn sie dort rausgingen. Oder gehen mußten, so. 53 Sie selbst haben kein Schuldbewußtsein? Erber: Ja . . . ich erklär’s noch einmal: Ich hab mich nicht hingemeldet, ich bin hinkommandiert worden, hab mei¬ nen Dienst gemacht. Das, was man sagt, daß da jeder einfach so eine Pistole nehmen konnte und einfach so herumschießen, das gab es nicht. Ja, ich glaube, das wärs jetzt. Hätten Sie von sich aus noch etwas, von dem Sie meinen, daß man darüber etwas sagen muß? Erber: Ja, ich kann das sagen, also ich weiß es von mir aus, die Sache war ein Schrecken ohne Ende. Aber zu der Zeit, wir konnten nichts dagegen tun, weil über uns ganz andere standen, die uns in die Knie gezwungen hätten. Und wir wollen bloß hoffen, daß nie wieder so irgend etwas in der Welt vorkommt. Trotzdem es soviel Leid gibt in der Welt heute noch und überall wieder, wo es nicht direkt erst künstlich geschaffen wird. Und da sollten die großen Herren der Regierungen mal dafür sorgen, daß diese Greuel überall abgeschafft werden. 2. Oswald Kaduk Oswald Kaduk wurde am 26. August 1906 als Sohn eines Schmiedes in Königshütte/Oberschlesien geboren. Er besuchte die Volksschule und erlernte das Metzgerhand¬ werk. 1927 ging er zur Städtischen Berufsfeuerwehr in Königshütte. Ende 1939 trat Kaduk freiwillig in die Allgemeine SS ein und wurde 1940 zur Waffen-SS nach Berlin eingezo¬ gen. Er kam an die Ostfront, wurde aber nach mehreren Erkrankungen und Lazarettaufenthalten 1941 nach Auschwitz versetzt. Dort tat er zunächst im Wachsturmbann, dann jedoch als Blockführer und schließlich als Rapportführer - so eine Art «Lagerspieß» - Dienst. Sein SS-Dienstgrad war Unterscharführer. Kaduk blieb in Auschwitz bis zur Auflösung des La¬ gers am 15. Januar 1945. Nach der Kapitulation arbeitete Kaduk in einer Zuk- kerfabrik in Löbau. Im Dezember 1946 wurde er von einem ehemaligen Auschwitz-Häftling wiedererkannt und daraufhin von einer sowjetischen Militärstreife fest¬ genommen. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte ihn im August 1947 zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Doch im April 1956 wurde Kaduk begnadigt. Er kam aus der DDR nach West-Berlin und nahm eine Stelle als Kran¬ kenpfleger im Krankenhaus Tegel-Nord an. Wegen be¬ sonderer Hilfswilligkeit hatte er dort bald den Namen «Papa Kaduk». Im Juli 1959 wurde Oswald Kaduk verhaftet. Im ersten großen Frankfurter Auschwitz-Prozeß, der « Strafsache gegen Mulka und andere » vor dem Frankfur¬ ter Schwurgericht in der Zeit vom 20. Dezember 1963 bis 19. August 1965, war Kaduk einer der Hauptbeschuldig¬ ten. Das Gericht verurteilte ihn zu lebenslangem Zucht¬ haus wegen Mordes in zehn Fällen, des gemeinschaftli- 56 chen Mordes in mindestens tausend Fällen und weiter in mindestens zwei Fällen. Oswald Kaduk, so die Feststellung des Frankfurter Gerichts, war «einer der grausamsten, brutalsten und ordinärsten SS-Männer im KL-Auschwitz». Herr Kaduk, wo sind Sie geboren , wo sind Sie groß ge¬ worden? Kaduk: Ich bin in Oberschlesien groß geworden. Ich bin geboren am 26. August 1906. Ne wahr. In Königshütte, Oberschlesien. Ne wahr. Und was sind Sie von Beruf gewesen? Kaduk: Ich bin Fleischer gewesen von Beruf, ne wahr. Und da wo die Arbeitslosigkeit war - kritisch -, da haben die gesagt, nun der junge Mann arbeitet, ist nicht verhei¬ ratet und so. Und da hat man mir einen Vorschlag ge¬ macht, ob ich nicht zur Berufsfeuerwehr gehen wolle. Und da habe ich mir das reiflich überlegt, ne wahr, und hab die Prüfung überstanden und bin zur Berufsfeuer¬ wehr gegangen. In der Stadt war ich gewesen. Und wie lange waren Sie da? Kaduk: Na, bis zu meiner Einberufung. War ich lange gewesen, war ich gar über zehn Jahre gewesen. Und da haben sie welche gebraucht, Berufsfeuerwehr in die Stickstoffwerkefabrik nach Wozrow, wissen Sie. Und da haben sie mich verlegt. Und von dort aus bin ich dann einberufen worden. Ne wahr. Und wohin sind Sie einberufen worden? Kaduk: Ich bin einberufen worden, ne wahr, nach Welau. Zur Wehrmacht? Kaduk: Ich bin zuerst zur Wehrmacht gekommen. Und von der Wehrmacht, dauerte nicht lange, da kamen paar Offiziere, na, und die haben uns zur SS ausgesucht, ne wahr. Aber ich hab gesagt, mit meinen Hüften, ne wahr, wie soll ich zur SS gehen, ich habe mich zur Wehrmacht 58 gemeldet und da bin ich zur SS gegangen, und da wollten doch verschiedene Herren wollten sogar, ich solle zur Gestapo gehen, habe ich abgelehnt, ne wahr. Wie sind Sie denn nach Auschwitz gekommen? Kaduk: Ja, nach Auschwitz bin ich gekommen durch das SS 9. Regiment, ne wahr. Ich war gewesen im Osteinsatz, ne wahr, und dann bin ich gekommen nach dem Osten, und in dem Osten da bekam ich Malaria. Und da bin ich gekommen, ne wahr, nach Glatz, fuffzchn Mann, von dort sind wir nach Belau gekommen, Ersatzhaufen, da waren gewesen zwei Kameraden, die waren vom «Reich», zwei waren von der «Leibstandarte» gewesen, die waren alle im Osteinsatz gewesen, ne wahr, und da hat man mir erzählt, daß wir kommen da auf einen Truppen¬ übungsplatz, hat man uns belogen, ne wahr. Und da haben wir festgestellt, daß es ein Lager ist. Wann war das? Kaduk: Das war Ende 1942. Sind Sie erst Ende 1942 nach Auschwitz gekommen? Kaduk: Ja, ja, Ende 1942 bin ich nach Auschwitz gekom¬ men, ne wahr, nich. Und da haben wir das gesehen, gleich, ne wahr. Wir kamen in ein Haus der Waffen-SS, war gewesen vis-ä-vis vom Bahnhof und da stand die Streife da. Die haben uns kontrolliert. Die haben gesagt, ja, wir sind versetzt worden nach Auschwitz, ne wahr. Hieß jetzt das Nest, früher hieß es Oswiecim. Wir haben auf die Karte geguckt, und nächsten Tag, da haben wir uns zum Kommandeur gemeldet, alle, und der Komman¬ deur hat gesagt, ihr bleibt in Auschwitz. Da habe ich gesagt, wir wollen doch hier nicht bleiben. Da haben sie uns gesagt, wir bleiben ein halbes Jahr in Auschwitz, dann kommt ihr wieder zurück zur Truppe. Aber ich war gewe¬ sen krank, und da habe ich mich gemeldet zu meinem Kommandeur. Habe ich geschrieben ein Schreiben, er möchte mich doch nach mir verlangen. Er hat mich ver- 59 langt, ne wahr. Aber trotzdem hat er gesagt: Also, es ist unmöglich, ihr bleibt noch da, ne. Das war vielleicht ein halbes Jahr später, drei Monate später, dann kam der Reichsführer nach Auschwitz, auch, ne wahr, nich, Himmler - und dann haben wir uns gemeldet, auch zürn Reichsführer. Ich habe mit Reichsführer persönlich ge¬ sprochen. So wollten wir gehen, ne wahr, nich. Und was haben Sie mit ihm besprochen? Kaduk: Ja, wir haben gebeten, ob wir können nicht zu¬ rück zu unserer Truppe. Ja, sagte er, das ist nicht möglich, ihr bleibt vorderhand noch da. Der Auschwitz-Einsatz ist so wie der Osteinsatz. Wir konnten nichts machen, ne wahr. Ich konnte ja . . . wenn ich damals gewollt hätte, da konnte ich nur die Pistole genommen und konnte erschie¬ ßen gleich, ich war vielleicht zwei Meter. Er hat mir doch die Hand gehalten. Uns allen hat gesagt: es geht nicht, wir bleiben. Als Sie das erste Mal das Lager betraten , welchen Ein¬ druck hatten Sie? Kaduk: Ja, ja, wissen Sie, ich war etwas schockiert. Ne wahr, ne. Ich hab geglaubt. . . wir haben alle Häftlinge gesehen. Ich war schockiert, aber ich konnte an der Sache nichts machen. Warum waren Sie schockiert? Kaduk: Ja nun. Da haben sie abgesperrt. Da dachten wir: Mensch, da mit den Leuten, so viele Leute haben sie eingesperrt, und da habe ich mich sofort erkundigt, wie¬ viel es damals waren. Da war es vielleicht im Stammlager damals, da hatten sie eine Stärke von ungefähr 13000 Mann. Und waren Sie auch schockiert über die Art und Weise, wie man mit den Gefangenen umgegangen ist? Kaduk: Ja, na klar, ich konnte aber nichts machen. 60 Können Sie das mal ein bißchen schildern , wie die Gefan¬ genen dort untergebracht waren. Die Zustände? Kaduk: Ja, es waren solche Blockhäuser gewesen. Es waren 24 Blocks gewesen, auf ein Block da waren gewe¬ sen so 450. Ich war Rapportführer dann gewesen. Mir haben sie eingesetzt als Rapportführer. Was ist das , Rapportführer? Kaduk: Das ist die rechte Hand vom Chef, ne wahr. Sagen wir mal, wenn was los war, ich war verantwortlich für das Lager, ne wahr. Für die Unterkunft und sonst dergleichen, was da geschah, war ich verantwortlich. Der Chef war dann der Kommandant des Lagers? Kaduk: Ja, nee, nee, da war der erste Schutzhaft-Lager¬ führer war gewesen, der war verantwortlich. Dann kam der Kommandant, der war verantwortlich. Ich meine, man kann doch heute nicht verantwortlich machen uns für die Sachen, die . . . Ich habe meine Befehle ausge¬ führt, wie es sich gehört hat. Ich habe damals nicht gefragt nach Recht oder Unrecht, ne wahr. Ich konnte an der Sache gar nichts tun, ne wahr. Es war gar kein Ausweg gewesen. Und wenn die Kameraden, die damals mit mir zusammen gekommen waren, die waren nicht lange ge¬ wesen in Auschwitz. Die haben einen Kontakt aufge¬ nommen mit den Häftlingen, sind herangekommen an Schmuck und Dollars und Geld, und da hatten sie Kurz¬ urlaub gehabt, und da waren sie paar Stunden dagewesen in Kattowitz, in Gleiwitz und so und so, und da haben sie eine Prügelei gehabt, und da haben sie Geld gehabt-das war auffallend gewesen - und da haben sie sich mit der Wehrmacht geschlagen, und da ist die Gestapo gekom¬ men und hat sie festgenommen. Und die Gestapo hat nachgeforscht, woher sie das Geld haben. Die haben kurzen Prozeß gemacht, die haben die Leute eingesperrt und haben sie nach Matzkau genommen. Matzkau war ein Straflager von der SS. So traurig wie das klingt, die Leute hat man umgelegt. Als Abschreck für die anderen. 61 Können Sie sich noch erinnern , wie das ausgesehen hat in Auschwitz , an die Lagerstraßen? Können Sie das mal schildern? Kaduk: Ja, es war eine Straße gewesen, das war ein großes Tor vorn, da hieß es «Arbeit macht frei», ne wahr, das war alles umzäunt gewesen, ne wahr, und die Straßen, die waren ausgebessert gewesen, und die Häftlinge, die wurden eingeteilt zur Arbeit. Ich hatte mit der Sache ja gar nichts zu tun gehabt. Da war der Arbeitseinsatz-Füh¬ rer gewesen, der hat bestimmt, wir nicht, wir hatten nur die Aufsicht, das alles in Ordnung ist, daß die Appelle mußten stimmen, sagen wir mal, am Abend und so und so. Und wenn was losgewesen ist. Ich konnte an der Sache nichts machen. Heute macht man mich verantwortlich, ne wahr. Ist ja wohl klar. Sie haben während des Prozesses einmal geschildert , daß Sie , als Sie nach Auschwitz gekommen sind , dort angefan¬ gen haben zu trinken , weil . . . Kaduk: Ich will Ihnen das sagen, ich habe in meinem Leben nicht so viel Alkohol getrunken wie in Auschwitz. Aber werden Sie sagen, Sie werden vielleicht lachen dar¬ über und die anderen auch. Ich war manchmal, wo ich zum Chef früh kam, da wo ich die Blockführer eingeteilt hab zum Dienst, da war ich so gewesen, da hatte ich schon um neun Uhr was drin. Er hat gewußt, mein Chef, daß ich was getrunken habe, aber ich bin nicht so aufgefallen, daß ich da vielleicht getorkelt hätte von links nach rechts, ne wahr. Und warum haben Sie getrunken? Kaduk: Ja, ich konnte das nicht sehen, hören Sie mal, ich konnte das alles nicht... ich hab gesagt: so oder so. Ich hab keinen Ausweg gehabt, ne wahr, was sollte ich denn machen? Wie manche Herren sagen, wenn sie sich gemeldet haben, dann sind sie gekommen, das ist nicht wahr. Wenn ich vielleicht Verbindung gehabt hätte in Berlin, jemand, der sich für mich eingesetzt hätte, und 62 hätte gesagt, wir sehen mal zu, daß sie von dem Haufen wegkommen. Das kann möglich sein. Der hat vielleicht Beziehungen gehabt, da sind vielleicht einer oder zwei weggekommen davon. Aber wenn sie keine Verbindung gehabt haben, war aus gewesen, ne wahr. Da war nichts zu retten gewesen. Können Sie noch ein bißchen die Zustände schildern , die dort geherrscht haben , uns das ein bißchen deutlicher machen? Kaduk: Ja, ich will Ihnen was sagen, das ist also folgen¬ dermaßen, die wurden, die Leute, die Häftlinge wurden eingeteilt, und das habe ich persönlich gemacht, das ha¬ ben die vom Arbeitseinsatz gemacht, da hab ich mit der Sache gar nichts zu tun. Ich bin bereit, daß was ich per¬ sönlich gemacht hab, bin ich bereit. Aber ich sehe nicht ein, daß sie heute mir sagen, ihr habt da Leute selektiert oder so was, selektiert haben nur die Ärzte, und die vom Arbeitseinsatz, die haben die Leute geschickt an die Rampe, ich war persönlich selbst an der Rampe, das gebe ich selber zu, aber ich habe, über Leben und Tod hat niemand von uns, das streit ich einfach ab . . . Herr Kaduk , darf ich mal fragen , warum Sie denn im Prozeß geschwiegen haben? Ist das eine alte SS-Kamera- derie gewesen? Kaduk: Ich habe mir so gedacht, ne wahr, wissen Sie, da habe ich gesagt, was soll ich andere Leute noch belasten, ne wahr, nee. Aber Sie haben gesehen , daß andere Leute Unrecht getan haben? Kaduk: Jawohl, das habe ich gesehen, denn die waren ja zuständig gewesen. Die haben ja entschieden über Leben und Tod. Keiner von uns, von den Unterführern, nur die haben entschieden, ne wahr, sagen wir mal. Und auf Grund dessen hat mich die Staatsanwaltschaft ja auch gefragt, der Rechtsanwalt Dr. Jugl und Dr. Reiners, der 63 kam ins Untersuchungsgefängnis, und haben mir ’ne Fla¬ sche Schnaps gebracht. Und ich habe gesagt, was soll das, ins Gefängnis ’ne Flasche Schnaps. Was denken Sie, ich habe gesagt, ich denke nichts. Ich habe getrunken, dann sagt er: Wissen Sie was, Herr Kaduk, ich wurde eben geschickt vom Gericht. Ich möchte, Sie sollen auspacken über die Vorgesetzten. Ich habe gesagt, nein, ich habe mal gesagt nein, und da bleibe ich dabei, habe ich gesagt. Was soll das alles, habe ich gesagt. Und die Staatsanwalt¬ schaft Frankfurt am Main, die haben mir gedroht, und die haben die Drohung wahrgenommen und die haben mich verurteilt. Einmal wurde im Stammlager nach Einbruch der Dunkelheit der Befehl gegeben: «Alle Juden antreten! Alle Juden raus!» Daraufhin traten alle jüdischen Häftlinge in der Lagerstraße an. Sie mußten sich nackt ausziehen und in einer Reihe durch das Badehaus zwischen den Blöcken 1 und 2 durchgehen. Dort saß Kaduk auf einem Schemel, bei ihm noch ein Häft¬ lingsschreiber und ein anderer SS-Mann. Kaduk musterte die Vorbeigehenden. Wer nach seiner Meinung schwach und ar¬ beitsunfähig war, wurde notiert. Noch in der gleichen Nacht wurden die so Ausgesonderten aus ihren Blocks geholt. Sie wurden auf Lkw verladen und in die Gaskammern gebracht. Starben da viele Menschen , haben Sie viele Menschen sterben sehen in Auschwitz? Kaduk: Ja, ich habe viele Menschen sterben sehen, es wurden auch viele Leute selektiert, sagen wir mal, das habe ich nicht persönlich gemacht. Ich gebe zu, daß ich mal vielleicht vorbeigegangen bin, dabeistand. Aber ha¬ be ich persönlich nicht, das war der Krankenbau gewe¬ sen, die waren zuständig gewesen, wir waren nicht zu¬ ständig gewesen. Jetzt im Stammlager? Kaduk: Ja, im Stammlager. 64 Wo ist da im Stammlager selektiert worden? Kaduk: Da war im Stammlager ein Krankenrevier im Hof. Da war der Herr Klehr dabei, ne wahr. Der muß es ja wissen. Weil der Herr Klehr schon da war. Wer wurde da selektiert , die Kranken oder die Neuan¬ kömmlinge? Kaduk: Die Kranken wurden selektiert. Es war so gewe¬ sen, es waren so viel Zugänge gewesen, daß der Betten¬ bestand war voll, und da hat man dann selektiert. Manch¬ mal hundert, manchmal hundertfünfzig, es war auch pas¬ siert, daß über zweihundert waren auch gewesen manch¬ mal. Ich war verantwortlich gewesen, ich habe die Fahr¬ bereitschaft angeläutet, betreffs der Wagen, ne wahr. Und da hatte ich persönlich mit der Sache nichts zu tun. Was geschah dann mit den Menschen? Kaduk: Die sind dann gekommen an die Rampe, die kamen nach Birkenau in die Gaskammer. Ist auch in Auschwitz im Stammlager vergast worden? Kaduk: Ja, eine Zeit war es gewesen, im Stammlager, wo ich da hauptsächlich war, da war ein Krematorium. Aber meistens haben sie damals zu meiner Zeit alles hinausge¬ fahren nach Birkenau. Bevor Birkenau stand , da sind doch aber auch schon Menschen vergast worden? Kaduk: Ja, in Auschwitz, da war ein Krematorium gewe¬ sen. Bei der Kommandantur, da war die Kommandantur, und hier stand das Krematorium. Da haben sie auch vergast, vorher schon. Wenn kleine Transporte kamen, ne. Das ist mir bekannt. Sind auch Menschen erschossen worden? Kaduk: Ja, erschossen wurden sie, und zwar im Block 11 . Da hat die Politische Abteilung, war zuständig gewesen, ne wahr. 65 Können Sie sich noch an den Block 11 erinnern , wie sah der Block 11 aus? Kaduk: Ja, es war ein Block gewesen, es war eine Wand gewesen, und es waren Insassen dringewesen, die hatten Blenden gehabt, und da wurden sie am schwarzen Brett erschossen. Und warum wurden sie erschossen? Kaduk: Ja, das kann ich heute nicht sagen, ne wahr. Es kam von Berlin aus eine Liste zu uns, und die Liste ist zum Schutzhaftlagerführer gegangen, Politische Abteilung, Schutzhaftlager, und ich habe die Leute für nächsten Tag bestellt und hab gesagt, wir rücken zur Arbeit nicht aus. Und dann kamen sie nach Block 11 rin, und da hat die Politische Abteilung sie abgeholt, hat sie erschossen. Weswegen das war, weiß ich nicht, ne wahr. Es kam so ein Schreiben von Berlin aus. Senatspräsident Maldus, der muß es ja wissen, der hat in Berlin in der Dienststelle gewesen, aber der ist ja schon gestorben, leider, er war vor vier Jahren in Karlsruhe noch gewesen als Senatsprä¬ sident, der war in Berlin auch tätig, Maldus hieß er. Wie ging die Erschießung vor sich? Kaduk: Ja, das, ich war ... ich möcht nichts sagen, wir wollen uns da nichts vormachen, ich war aber nicht dabei¬ gewesen, ne wahr. Aber ich kann mir vorstellen, daß sie von kurzer Distanz erschossen worden sind. Es waren meistens Kleinkaliber, wurde angesetzt, von kurzer Di¬ stanz. Das war so wie eine Luftbüchse, ne wahr. Dann ist er umgefallen, dann kam der Wagen, dann hat man sie aufgeladen und ist herausgefahren zum Krematorium. Ja, so traurig wie das klingt, aber leider, ne wahr, ich möchte auch nicht erinnert werden an die Sache, ich kann mir so vorstellen, daß so was passiert ist, manche sagen, wie war es möglich gewesen, ich frage mich auch, wo war die Kirche damals gewesen? Warum hat die Kirche damals keinen Widerstand geleistet, die katholische Kirche von 700 Millionen Menschen, daß die Kirche damals gesagt 66 hat, ihr wißt ja ganz genau, wo es ist. Wehrmachtstrans¬ porte sind vorbeigefahren in Auschwitz, die standen am Bahnhof. Ein General, dann kam die schlechte Luft auf den Bahnhof, ne wahr. Was für schlechte Luft? Kaduk: Daß sie was verbrannt haben, die Leichen, beim Krematorium, da schlug gerade die Welle auf den Bahn¬ hof, das war so, als wenn der Bahnhof vernebelt wäre, da waren die von der Wehrmacht gewesen, da war ein Gene¬ ral gewesen, der hat gesagt, bitte, machen sie das Fenster zu, hat gesagt, meine Herren, was ist denn da hier los, keiner hat sich getraut, was zu sagen, die Transporte sind gegangen nach dem Osten, wir wurden überhaupt gar nicht, die Amerikaner sind geflogen über Auschwitz, aber nichts bombardiert, gar nichts, keine Bombe gefal¬ len in Auschwitz. Das haben die Amerikaner doch ge¬ wußt, die Engländer auch, die haben doch damals schon gesprochen, die Engländer, von Auschwitz. Die waren in Auschwitz gewesen, ich habe das gehört nachts, ich und mein Kollege, wir haben die Nachrichten gehört. Die durfte keiner verbreiten. Was sind Muselmänner? Kaduk: Ja, Unterernährte. Muselmänner nennt man das. Muselmänner hat man das gesagt, die so rapide, ne wahr, die sehr schlecht aussehen. Das hat man bei uns Musel¬ männer genannt. Die waren unterernährt gewesen, es gab viele, die hatten Wasser, Fleckfieber, sind viele ge¬ storben damals, auch ist die Pest damals ausgebrochen in Auschwitz. Haben Sie sich damals auch gefragt , ob das Recht ist, was da geschieht? Kaduk: Ja, ich will Ihnen mal was sagen. Nicht, nicht. Das war nicht Recht, ne wahr, das war Unrecht. Solche Methoden, ne wahr. Hätte ich nie geglaubt, daß unsere die Fähigkeit hätten, damals so, nicht. Ich hab auch 67 manchmal gesagt meinem Chef, nicht, habe ich auch schon gesagt, wer wird das mal verantworten, was wir hier machen. Das überlaß anderen, hat er gesagt. Mach dir keine Kopfschmerzen, das war die Antwort von einem Offizier, meinem Vorgesetzten, können Sie sich ja vor¬ stellen. Die meisten sind alle tot, die wurden hingerichtet. Das war so, was wollten sie da machen. Welche politische Einstellung hatten Sie damals? Kaduk: Ja, ich werd Ihnen was sagen, ich war damals gewesen war ich für das System. Ich habe mir geglaubt alles. Aber wo ich das gesehen habe, ne wahr, da war ich schockiert gewesen. Ich habe meiner Frau und meinen Kindern auch nichts gesagt, auch meinem Schwiegervater habe ich nichts gesagt, zu keinem habe ich etwas gesagt. Ich habe Angst gehabt, ne wahr. Aber die lebten doch auch in Auschwitz , Ihre Frau und Ihre Kinder? Kaduk: Nein, die lebten in weiter Entfernung, weit ent¬ fernt waren sie gewesen. Ich habe nie gesagt. . . Einmal kam mein Sohn auch mich besuchen, das war an einem Sonntag. Da war er damals acht oder zehn Jahre. Da hat er gefragt, was ist denn das? Da habe ich gesagt, das ist das Postamt. Und da hat er mir auch mal die Frage gestellt, Vati, hier riecht es so schlecht, schlechte Luft. Was sollte ich dem Jungen sagen? Können Sie mir das vielleicht sagen? Und was haben Sie dem Jungen gesagt? Kaduk: Ja, ich habe, ich hab ihm gesagt, das kommt mir so vor, das ist die Weichsel, vielleicht vom Wasser, so und so, aber er hat gemerkt, und meine Frau auch . . . Meine Frau hat nicht gewußt, ich habe meiner Frau nichts gesagt. Wie war denn für Sie der normale Tagesablauf? Kaduk: Ja, es war so folgendermaßen. Wir hatten um 68 fünf Uhr Wecken, um 5 Uhr 30 hatten wir Antreten, an der Blockführerstube. Dann sind die Blockführer ge¬ kommen, ich habe sie abgezählt, zum Dienst einge¬ teilt . . . Die Blockführer , das waren Häftlinge? Kaduk: Nein, nein, das waren SS-Leute gewesen. Block¬ führer gewesen, ne wahr. SS-Leute. Die waren verantwortlich für die Disziplin? Kaduk: Ja, für die Disziplin, und die hatte ich zum Dienst eingeteilt. Und da habe ich eingeteilt, und da habe ich gemeldet, und da kam der Lagerkommandant, und da habe ich gemeldet, soviel und soviel zum Antreten, und da habe ich aufgerufen, eingeteilt, ein Teil ist stehenge¬ blieben an der Blockführerstube, der andere Teil rechtsum im Gleichschritt Marsch, zack, zack, zack und vorn austreten. Auseinander sind die gegangen und fing es an zum Appell. Die eine Zeit war früh Appell gewesen, und die eine Zeit war auch abends Appell gewesen. Appell für die Gefangenen? Kaduk: Für die Gefangenen. Jeder Blockführer hat ei¬ nen Block gehabt, oder zwei Blöcke, und der mußte abzählen und kam zu mir und hat mir gemeldet, soviel und soviel. Außendienst, bei den Häftlingen da waren gewesen, bei den Offizieren da waren gewesen drei oder vier, die in der Kantine waren gewesen, die haben ge¬ kocht. Und in der Bäckerei da waren vielleicht gewesen, die haben gearbeitet bis nach achtzehn und siebzehn Uhr, die haben vielleicht bis neun Uhr gearbeitet, und in der Fleischerei, da waren kleine Kommandos gewesen, und das mußte alles abgenommen werden, ne wahr. Das mu߬ te gemeldet werden, ich habe dann gemeldet, und dann gingen sie in ihre Blöcke, die Häftlinge, ne wahr. Eine Zeit war das so gewesen, da haben sich ein paar Frauen gemeldet, für die Häftlinge, ne wahr, da haben wir Deutsche meistens gelassen zu den Frauen, da waren 69 Polen gewesen, Deutsche gewesen. Ein Jude durfte nicht, die Frauen, ne wahr. Wie war das gewesen mit den Frauen? Kaduk: Das waren, die sich mit den Männern eingelassen haben, auf zwanzig Minuten, dreißig Minuten . . . Da gab es ein Lagerbordell? Kaduk: Ja, das war ein Bordell gewesen. Für eine Zeit war ich verantwortlich gewesen, aber das habe ich dann abgegeben. Sie waren für das Lagerbordell verantwortlich? Kaduk: Ja, wir haben uns so abgelöst, mal der, mal der. Da konnte man zwanzig Minuten drin sein bei den Frau¬ en, nach zwanzig Minuten da wurde geklingelt, da mußte man raus. Und was waren das für Frauen? Kaduk: Das waren gewesen deutsche Frauen, meistens Deutsche oder Polinnen . . . Deutsche Frauen und auch Polinnen. Kriminelle? Kaduk: Ja, das waren Kriminelle, weswegen, das kann ich nicht beurteilen, ich habe danach nicht gefragt, aber meistens, manchmal waren das Politische auch gewesen, Frauen, aber meist Kriminelle waren das gewesen. Wurden die Frauen gezwungen? Kaduk: Nicht gezwungen, freiwillig. Sie haben das alles freiwillig gemacht. Die Frauen haben sich freiwillig hin¬ gegeben. Für Häftlinge und auch für Aufsichtspersonal? Kaduk: Ja, für Häftlinge, ja. Aufsichtspersonal hat mit der Sache nichts zu tun gehabt. Wir hatten nur die Auf¬ sicht gehabt, daß jeder Häftling, wenn er reingegangen 70 ist, und nach zwanzig Minuten da fing es an zu klingeln, und da habe ich auf einen Knopf gedrückt. Da kamen sie aus der Kabine und da sind sie gleich zum Sani, die wurden gleich immer, wenn sie reingingen und wenn sie rauskamen, da mußten sie gleich immer zum Sani. Manchmal war ein Arzt dabeigewesen, der hat festge¬ stellt, ob es sauber oder nicht sauber war. Das war ohne Probleme. Und wie lange gab es dieses Bordell? Kaduk: Das gab es ziemlich lange, vielleicht bis zum Schluß, eineinhalb oder zwei Jahre wohl. Und das war nur für auserwählte Häftlinge? Kaduk: Ja, für Auserwählte, na klar. War das eine Auszeichnung? Kaduk: Ja, es war eine Auszeichnung, meistens waren es Deutsche gewesen, Berufsverbrecher, die waren gewesen tätig im Magazin oder in der Schreibstube, oder waren es Kapo gewesen, Kommando geführt, es wollten ja viele kommen, es kamen sechshundert Mann, die Häftlin¬ ge .. . hab gesagt, los links raus und weg, weg bist du vom Fenster, kommst nicht an. Und da haben wir ausgegeben solche Gutscheine, Gutschein zwei Mark, die Frau be¬ kam eine Mark, eine Mark ging dann nach . . . Die haben sich freiwillig hingegeben die Frauen, man hat den Frau¬ en auch versprochen, daß sie entlassen werden dafür, und das war nicht der Fall gewesen, man hat sie belogen, ne wahr. Die haben ihnen die Wahrheit nicht gesagt. Sind die meisten dann auch vergast worden? Kaduk: Nein, nein, die wurden nicht vergast. Die konn¬ ten zivile Sachen tragen. Ihre Kleidungsstücke. Anstalts¬ kleidung brauchten sie nicht tragen. Von zu Hause konn¬ ten sie Zivilsachen tragen. 71 In welchem Block war das? Kaduk: Das war in Block 1, gleich vorne, ne wahr. Block 22 . . . In der zweiten Querstraße? Kaduk: Ja, das war die zweite, und die haben das verlegt, da wo die Schreibstube war, wenn sie ins Lager gekom¬ men sind, gleich auf der linken Seite war das. Unten war die Schreibstube und oben waren die Frauen gewesen. Manchmal hatten wir Schwierigkeiten. Die wollten manchmal nachts rein, nachts wurden sie manchmal er¬ wischt. Der Blockführer hat sie erwischt und gemeldet, da mußte ich raus und habe dann Meldung gemacht, da wurde er versetzt, in die Kiesgrube, in die Sandgrube oder er hat Prügelstrafe bekommen, ne wahr. Verschie¬ den, wenn er sich nicht an die Lagerordnung gehalten hat oder was ausgefressen hat, dann wurde er bestraft. Ich gebe zu, ich habe Häftlinge dabei erwischt, verschiedene, da habe ich sie gefragt, ob sie eine Meldung wollen oder nicht, habe eine Ohrfeige gegeben oder ein oder zwei. . . Was haben Sie gemacht? Kaduk: Eine Ohrfeige habe ich gegeben. Da habe ich ihn gefragt, ob er eine Meldung will oder nicht. Hat er gesagt, nein. Und da habe ich eine Ohrfeige gegeben. Nächste Mal, habe ich gesagt, da kriegst du eine Meldung. Wie manche sagen, daß wir mit dem Gummiknüppel herum¬ gelaufen sind, das gab’s bei uns nicht. Es gab es im Block 11 bei uns, da gab es Prügelstrafe, da wurden Leute, die bekamen zehn, fünfzehn, das war verschieden. Die wur¬ den bestraft, Häftlinge, ne wahr. Ich war auch dabei, der Arzt war dabei und der Schutzhaftlagerführer. Die Häft¬ linge wurden geschlagen, durch Kapo meistens, ne wahr. Hat er zehn bekommen, ne wahr, da hat der Arzt nachge¬ guckt, wenn es zu stark war, da hat er gesagt, stoppen. 72 Im Spätsommer 1944 fehlte bei einem Abendappell ein Häft¬ ling. Die angetretenen Häftlinge mußten so lange stehenblei¬ ben, bis der Fehlende schließlich gefunden wurde. Kaduk und ein anderer Rapportführer schlugen so auf den Häftling ein, daß er mehrfach zu Boden fiel. Kaduk schüttete dann immer wieder Wasser auf den Liegenden. Wenn er sich erhob, wurde er wieder niedergeschlagen. Schließlich blieb der Häftling auf dem Rücken liegen, er lebte aber noch. Kaduk und der andere Rapportführer traten daraufhin mit voller Kraft mit ihren Stie¬ felabsätzen auf den Brustkorb des Häftlings, bis - so die Fest¬ stellungen des Frankfurter Schwurgerichts - die Rippen krach¬ ten. Kaduk und der andere hörten erst mit der Mißhandlung auf, als der Häftling tot war. Sie waren ja auch einmal bei einer Hinrichtungsaktion dabei? Kaduk: Ja, da war ich dabei, das gebe ich zu. Und die zwölf Häftlinge, die hat man mir ins Buch ge¬ schrieben . . . Können Sie diese ganze Geschichte einmal erzählen? Kaduk: Ja, wenn ich mich recht erinnere, aber ich habe leider ein gutes Gedächtnis, manche Herren, die Akade¬ miker, die draußen sind, die vergessen sehr schnell, aber ich vergesse nicht so schnell. Es war folgendermaßen: es waren zwei politische Häft¬ linge, die haben für die SS gearbeitet, ne wahr. Politische Häftlinge. Die haben ihre eigenen Kameraden verpfiffen. Wenn man so sagt, im Knast verraten. Und die haben so ein Vertrauen gehabt in die Politische Abteilung, daß ein Oberscharführer, er war aus Ungarn oder aus Rumänien, der ist mit ihnen gegangen in ein Waldstück, vielleicht sechs Kilometer von Auschwitz, und die zwei Häftlinge die haben gesagt, daß die wissen, im Wald ist versteckt Gold, ne wahr, und Dollars, und Sie wissen doch, wie die Politische Abteilung war, die war doch gleich, wenn sie was gehört hat von Dollar und von Gold und von 73 Schmuck, und da waren sie oben, und da sind sie mitge¬ gangen, mit den Häftlingen sind die mitgegangen, voll Vertrauen, Sie wissen, daß sie ein paar Jahre da waren, und das waren ziemlich stramme Burschen gewesen, die waren in ihrer Größe wie Sie sind, aber noch stämmiger gewesen, die haben SS-Verpflegung bekommen. Gab es auch so was, daß Häftlinge SS-Verpflegung bekamen, viele wollen es nicht glauben. Und die haben dann, wo sie im Wald waren gewesen, da haben sie ihnen das Genick gebrochen. Da haben sie ihnen die Pistole genommen und haben sie erschossen. Das haben Sie gesehen? Kaduk: Das habe ich nicht gesehen, das wurde bekannt, erst später haben wir es erfahren. Und das war folgender¬ maßen dann: Das wurde gemeldet, wir hatten doch die Politische Abteilung, die haben das aufgenommen alles, ne wahr, und das wurde gemeldet nach Berlin. Und von Berlin kam das dann, als Vergeltung. Da hat man zwölf Mann genommen, aus dem Baubüro, das waren polni¬ sche Intelligenzler gewesen, Architekten, ich kannte sie so vom Sehen, weil ich öfter vorbeigegangen bin. Und die wurden als Vergeltung zwölf Mann hingerichtet. Willkürlich ausgesucht? Kaduk: Ja. Waren die von Berlin aus bestimmt oder wer hat . . . Kaduk: Nein, das war so folgendermaßen, Berlin hat angeordnet, zwölfe als Vergeltung. Und, sagen wir mal, ausgesucht hat der Kommandeur. Der hat sie ausgewählt. Der hat sie ausgesucht, die waren unschuldig gewesen, die Leute. Die wären ja hier rausgekommen . . . Sie waren bei dieser Hinrichtung dabei , wie lief diese Hin¬ richtung ab? Kaduk: Ja, da waren gewesen, zwölf Mann hat man ausgesondert. Ich habe auch nicht gefragt, ich war ja als 74 Rapportführer, ich habe ausgeführt, ich habe meinen Befehl ausgeführt. Und ich kannte sie auch sehr gut. Und da hat man sie ausgewählt, und da hat man sie nach dem Block 11 reingestopft. Block 11 waren sie gewesen und da hat man sie zusammengepfercht und das dauerte nicht lange, und da kam von Berlin die Hinrichtung. Soll ausge¬ führt werden am Dienstag, sagen wir mal, Moment, am Dienstag beim Appell. Da hat der Schutzhaftlagerführer gesagt, Herr Kaduk, machen Sie fertig, den Galgen für zwölf Mann, machen sie alles in Ordnung. Ja, habe ich gesagt, wird ausgeführt. Da habe ich eine kleine Skizze gemacht, dem Lagerältesten gesagt, also hier, heute abend ist was los. Der hat ja gewußt, ganz genau. Also habe ich da eine Skizze gemacht, so und so, und dann den Galgen aufgehangen, den Galgen haben wir aufgestellt, und dann habe ich die, die wo aufgehangen werden soll¬ ten, habe ich auch kontrolliert, alles so und so, ne wahr, und am Nachmittag hieß es, beim Appell werden die alle vorgeführt. Und alle Häftlinge waren beim Appell noch aufgestellt, so hingestellt, ne wahr, ne wahr, die Block¬ führer haben abgegeben, alles in Ordnung, jetzt kam ein Zug von der Truppe ins Lager rein, die haben sich aufge¬ baut links, was jetzt passiert, und dann kamen die von der Politischen Abteilung, da kam der Offizier von der Politi¬ schen Abteilung, der Grabner, seine Adjudanten hat er immer bei sich gehabt, zwei, dann kam der Arzt, da war der Kommandeur, der stand links bei der Truppe und hat zugeguckt, und dann habe ich mir zwei Mann genommen nach Block 11, habe ich zwei Maschinenpistolen genom¬ men, habe gesagt, geht holen, sie sollen vorgeführt wer¬ den, habe gesagt, paß auf, Hände auf dem Rücken, habe ich gesagt, tut mir leid, ich muß euch hier vorführen, ne wahr, keine Bewegung, sonst muß ich von der Schußwaf¬ fe Gebrauch machen. Folgt mir, Abstand zwei Meter, vor dem Galgen mußten sie alle vor die Hocker stehen, alle, ne wahr. Und da hat mir der Alte gesagt, paß auf, sagte er, wenn sie verkünden, müssen sie hoch, auf den Hocker rauf und jeder hat den Kopf in die Schlinge gelegt, so und 75 so, und dann hat er vorgelesen, der von der Politischen Abteilung und dann habe ich meinen Kollegen gesagt, so, Kameraden, ich gebe ein Zeichen jetzt, psst, und da haben wir die Hocker weggezogen, und da waren sie weg. Waren sie alle sofort tot? Kaduk: Sofort, na klar, da ist aus, da ist nichts mehr zu retten. Die Schlinge paßt gerade so rin, das dauert nicht lange. Der Arzt war dabeigewesen, der hat den Tod festgestellt, festgelegt, so und so, Augen aufgemacht, nachgeguckt und so. Da waren Leichenträger gewesen, die haben sie gleich in die Kiste rin und auf den Wagen nach dem Krematorium, und weg waren sie. Und die hat man mir zur Last gelegt, weil ich dabei war. Ich streite das ja gar nicht ab, aber ich persönlich habe sie nicht hinge¬ richtet, ich streite das ja gar nicht ab. Weswegen sind Sie verurteilt worden eigentlich? Kaduk: Ja, ich wurde, mir haben sie lebenslänglich gege¬ ben, wegen die zwölf Mann, wo Sie mich jetzt erinnert haben, die hat man mir auch ins Buch geschrieben. Es gibt aber auch noch andere Fälle , deretwegen . . . Kaduk: Ja, da haben sie auch gesagt, selbständig, da haben sie erzählt, Wasserbottich und so was Dergleichen. Das war ja gar nicht wahr gewesen, so was gab es nicht, ich soll sogar blutig geschlagen haben, mit dem Knüppel, ich was ich noch hatte, die Pistole gehabt, ich habe das Lager ganz bis zu Ende . . . gab’s kein Blutbad, gar nichts, wenn ich die losgelassen hätte, gab es vielleicht ein Blut¬ bad in Auschwitz, glauben Sie das? Wenn Sie wen los gelassen hätten? Kaduk: Wenn ich die nicht so im Griff gehabt hätte, bis zum Ende, ich wußte ganz genau, ich habe gehabt eine Karte und wußte ganz genau, wie die Truppen ziehen, ne wahr. Die gingen nicht vorwärts, die sind rückwärts ge¬ gangen. Und das wußten verschiedene Häftlinge auch, ne 76 wahr. Und das wußten die auch. Wir konnten ja gesagt haben, wir setzen uns ab, macht, was ihr wollt, und das haben wir nicht gemacht, bis zuletzt waren wir gewesen. Wir haben das Lager so gehabt, auch die SS-Leute waren dabeigewesen, bis das Lager evakuiert wurde .. . Aber es haben ja viele Zeugen im Prozeß gegen Sie aus ge - sagt , sie haben gesagt daß Sie der gefürchtetste Mann . . . Kaduk: Ich sage Ihnen ja auch offen und ehrlich, ich sage Ihnen ja auch, ich habe die im Zuge gehalten, wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ein Blutbad gekommen, vielleicht unter den SS-Leuten mit den Häftlingen zu¬ sammen. Ich wußte ja ganz genau, was los war, ich wußte ja 1944 schon, Ende so, Mitte, ich meine, ich war, obwohl ich da so viel Alkohol getrunken habe, aber ich kam mit denen zusammen, im Casino haben sie mich eingeladen, ne wahr, und die haben gesagt, am besten, hab ich gesagt, wenn ich was zu sagen hätt, ich laß die Häftlinge drin im Lager. Wir haben Kartoffel, wir haben Schweine, alles war dagewesen. Und nicht auf die Straße. Es ist zwecklos. Die ganzen Transporte, und wer etwas nachgedacht, ha¬ ben wir doch gewußt, das liegt doch alles, ne wahr, alles der Rückzug, Rückzug, ne wahr. Es waren doch soviel Transporte, sagen wir mal, da auf dem Waggon. Der von der Politischen Abteilung, der Grabner: ich brauche nur achtzig Wagen, ne wahr, da haben die gebrüllt ins Tele¬ fon. Da haben die gesagt: Kommen sie, dann holen wir sie ab. Und er: Was soll das, was soll das, diese Drohungen. Und wir hatten nicht soviel Waggons gehabt und hat wenig Waggons geschickt, vielleicht so f uffzig oder zwan¬ zig, kann ich mich noch gut erinnern, und es hatte kei¬ ne .. . nur offene Wagen, kein Dach, können sich vorstel¬ len, die Kälte damals 1945, wie damals die Kälte war, was sollen wir da machen, und die lagen dann auf der Straße, sind sie, dann kam die Wehrmacht, so und so, so und so, mit denen, und dann kamen die mit der Wehrmacht und die lagen auf der Straße, manche waren erfroren, schrecklich, und ich bin damals, damals hab ich den Vor- 77 schlag gemacht, weil, weil ich konnte nichts machen, ne wahr. Wir haben alle nur auf Berlin gewartet, auf die Atombombe, an die wir dachten, ich konnte ja nichts machen, ich habe so gedacht, ne wahr. Im September/Oktober 1943 kontrollierte Kaduk ein Häft¬ lingskommando, das Steine zu schleppen hatte: vom Bahnhof Auschwitz zum Lager. Da viele Häftlinge keine Schuhe anhat¬ ten, konnten sie sich bald nur noch mühsam fortbewegen. Als Kaduk das sah, schimpfte er und verlangte, daß die Steine im Laufschritt transportiert werden sollten. Als viele Häftlinge dazu nicht mehr imstande waren, machte Kaduk «Sport» mit ihnen. Sie mußten im Kreis herumlaufen, springen, hüpfen, sich fallen lassen, wieder aufstehen, «Froschhüpfen» machen usw. Drei Häftlinge brachen vor Erschöpfung zusammen. Kaduk trat mit den Stiefeln auf sie ein. Einer der Häftlinge - etwa fünfzig Jahre alt - starb an den Folgen der Fußtritte und Schläge. Aber bei dieser Evakuierung sind doch die Häftlinge wie die Fliegen gestorben? Kaduk: Ja, sehen Sie, und das war der Fehler gewesen, ne wahr, jetzt haben sie nur die Decken mitgenommen, ne wahr, und viele, ne wahr, haben sich auch verschiedene SS-Leute haben gesagt, ich mache das nicht mehr mit, sind abgehauen, ne wahr, und haben die liegen gelassen, ne wahr. Im Schnee sind sie erfroren, ne wahr, kein Wunder. Jetzt fragen Sie mich wieder, was haben Sie da gemacht? Mich fragen Sie jetzt noch, nicht, ich kann Ihnen keine Antwort geben. Weil ich die Verantwortung nicht übernehme, weil ich ihnen gesagt hab, wir lassen das, wir lassen jetzt. . . War in Küche gewesen, komme dann zurück, kochen, wir hatten Schweine gehabt, wir hatten alles gehabt. Wir hatten ein ganzes Magazin voll Lebensmittel gehabt, 1945 noch, ne wahr. Da war von unten bis oben alles voll. Schokolade, Kekse, Schnaps, und alles, was sie wollten, Bohnenkaffee, und das hat man den Russen überlassen, alles, sehen Sie, und die 78 Deutschen haben das nicht ausgegeben, ne wahr. Und das konnten wir ja dann den Häftlingen auch ausgeben, ne wahr, ich meine, vielleicht hätt es die Partei verboten, ne wahr, und Sie werden mich fragen warum, ne wahr, sehen Sie, und da kann ich Ihnen keine Antwort geben. Ja, wo sind die Herren heute? Ne wahr, sagen Sie, jene, die leben nicht mehr, ne wahr. Wir sind noch die einzigen, die geblieben sind, und mit uns spielt man heute noch mit der Vergangenheit nach fünfzig Jahren. Für die ist die Vergangenheit schon erledigt, so bauscht man das auf, aber darüber wird sich auch nichts ändern. Ich glaube, ne wahr, es nicht. Es war ein Verbrechen, das gebe ich selber zu, aber einmal muß ja Schluß gemacht werden, ne wahr, wir wollen nicht immer halten an der Vergangenheit. Die sollten sich mal um ihre Jugend kümmern. Es hat ja auch im Stammlager Selektionen gegeben , die sogenannten Lagerselektionen? Kaduk: Ja, ja, das hat der Herr Klehr gehabt mit seinem Chef, dem Arzt, ne wahr. Der hat immer bestimmt, ne wahr, er hat so gesagt, ne wahr, wir haben ja ganz genau gewußt, wie viele Kranke wir hatten. War gewesen eine Karte, und da waren es zu viele Kranke gewesen und dann kam er und da ging er zum Schutzhaftlagerführer und sagte, weißt du was, hat er ihm gesagt, ich muß selektieren, ne wahr. Wir haben zuviel Leute, ne wahr, wir haben nicht so viel Betten frei, ne wahr, kommt wieder Nachschub, ne wahr, und da haben sie sich den Tag ausgesucht, ein Dienstag oder meist ein Montag oder wie es war, haben sie ausgesucht und haben sie dann die ganzen Ärzte, die Häftlingsärzte, die haben die Kartei¬ karten ausgesucht, ne wahr, und dann sind die Häftlinge passiert beim Arzt und beim Sani, der da war auch noch, nicht, und da haben sie gesagt, da haben festgestellt der Arzt, entweder links oder rechts, sagen wir mal, entweder so oder so, haben sie die Karte umgedreht. Der zur Selek¬ tion kam, kam rechts, auf die rechte Seite haben sie den, 79 und der noch geblieben ist, darf links, nicht, und da haben sie ausgesucht. Und dann haben sie sie zusammengezo- gen und nächsten Tag kam Lkw und manmal auch am Abend siebzehn oder achtzehn Uhr, und dann wurden sie aufgeladen, wurden sie rausgefahren, nach Birkenau. Wurde dann gemeldet. Ein Beispiel, nehm ich an, ich greif jetzt mal aus der Hand, hundertfuffzig oder zwei¬ hundert oder zweihundertzwanzig, bitte abschreiben vom Krankenrevier, und das mußte im Buch stehen, al¬ les, ne wahr, Blockführer mußte genau stimmen, über jeden Häftling, wo er war. Das war ganz genau. Konnte nicht einer sagen, so oder so, das mußte genau sein. Deswegen, und da hab ich nichts zu tun, hab ich nichts zu tun gehabt, ne wahr, das Tor ging auf, ne wahr, und das ist vorbeigekommen von der Fahrbereitschaft, und dann sind sie rausgefahren. Haben die Häftlinge gewußt y was sie erwartet? Kaduk: . . . gewußt, nicht wahr, nicht wahr, wenn ich doch im Lager bin so lange, und auf einmal merk ich, daß ich krank werde, und ich wußte das, die Kameraden sagen immer . . . daß die Kameraden nicht zurückkom¬ men. Wenn die wären zurückgekommen, dann hätten gesagt, na ja, gut. Aber da wußten sie so schon ganz genau auf Nimmerwiedersehen. Nicht. Abschied. So traurig wie das klingt, ne wahr. Wie haben die Häftlinge darauf reagiert? Kaduk: Ja, das kann ich nicht sagen, weil ich doch per¬ sönlich, nicht wahr. Aber das können Sie sich ja vorstel¬ len, ne wahr, wenn einer das sieht, die Kammer und jetzt muß ich rein, und wenn ich eben nicht rein will, dann werde ich getrieben, ne wahr. Von einem Kollegen noch, ne wahr ... Sie wissen ja, wie damals war, damals ging es ja um Leben oder Tod, ne wahr, ne wahr, ums Überleben, sagen wir mal, ne wahr, aus einem Konzentrationslager wurde ein Vernichtungslager. Das alles hat der Krieg mitgebracht und noch schlimmer, ne wahr. 80 Es gibt heute Menschen , die sagen , es hat niemals ein Vernichtungslager Auschwitz gegeben. Kaduk: Was heißt, die Menschen. Gibt auch verschiede¬ ne Leute, ne wahr, es gibt heute verschiedene Leute, wo damals mitgemacht haben, mitgemacht, mitgewirkt, ne wahr. Heute sind sie viel zu feige, aufzustehen und sagen, ne wahr, wir haben mitgemacht, ne wahr, heute haben sie sogar Angst, was zu sagen. Und die anderen sind auch ängstlich und sagen auch gar nichts. Ne wahr, sehen Sie, und da haben sie den Mut nicht gehabt, den sie damals gehabt haben, jawohl, jawohl. Gucken Sie mal, ich kenne viele Staatsanwälte, damals waren bei uns in Auschwitz gewesen in, Block 11 haben sie Sondergericht gemacht, ne wahr, ruckzuck, waren sie verurteilt gewesen und am Nachmittag waren sie erschossen, hingerichtet. Wo sind die Staatsanwälte und Richter, die heute im Dritten Reich vorn drangewesen sind? Sind sie klein, der Dr. Zarnack, der Dr. Stolting II., und der Dr. Reiners? Die waren im Dritten Reich in Frankfurt am Main als Staats¬ anwälte. Und haben mit den Juden auch zu tun gehabt. Und was haben die Staatsanwälte gemacht, Frankfurt, die Kollegen von denen, die haben sich die Hand geschüt¬ telt, soso, na und sehen Sie, und die sind heute als Rechts¬ anwalt tätig. Ist das richtig? Denen wär so was nicht passiert. Da hätten sie bestimmt. . . Da haben sie keine Rücksicht genommen, da drüben, ne wahr, wissen Sie, aber hier machen sie . . . ne wahr, die Akademiker, nur mit dem kleinen Mann, da machen sie die Schau mit dem kleinen Mann. Guck doch mal, das sind die Mörder. Die Schergen, heißt es. Das ist sehr billig, ne wahr. Wenn sie Courage haben und sagen. Ja, die können sich alle nicht mehr erinnern. Sehen Sie, ich habe nur die Berufsschule, ne wahr, und die Volksschule, und ich kann mich noch gut erinnern, ich habe ein gutes Gedächtnis. Sie können mich fragen, wenn ich will, denn wenn ich über etwas nachdenke, dann schalt ich zurück, dann kann ich Ihnen ganz genau sagen, daß ich vielleicht die Tage, die Monate, nicht ganz genau, aber da weiß ich ganz 81 genau. Manche sind vergeßlich, können sich nicht mehr erinnern, ne wahr. Haben Sie viele Tote gesehen in Auschwitz? Kaduk: Ja, ich habe viele Tote gesehen, will ich Ihnen sagen, ne wahr, mal klar nicht, das geb ich selber zu, ne wahr, ich hab’s ja gesehen, wie sie auch rausgefahren sind, ne wahr, die sind auch meistens dann nach achtzehn Uhr mit dem Wagen rausgefahren, ne wahr. Da waren manchmal solche Tage gewesen, wo sie da wo Sonder¬ kommando, kam auf Sondergericht von Kattowitz, Kra¬ kau, die ganzen kamen sie, ne wahr. Und die haben sie da hingerichtet, ne wahr. In Block 11 da. Da sah es aus, ne wahr, gräßlich. Das Tor wurde aufgemacht, die Häftlinge sind reingefahren mit dem Wagen, haben einen Bretter¬ wagen gehabt, und dann so eine Plane, da kamen die Toten drauf, ne wahr, und da können Sie sich ja vorstel¬ len, wenn die da nicht mit Gas, nur mit, erschossen wor¬ den sind mit Kleinkaliber, können Sie sich ja vorstellen, was da in den Rinnstein lief. Blut, nicht. Bei so vielen, über hundert Tote, ne wahr. Und das ist auch ... die sind dann gefahren, die haben direkt Spuren hinterlassen dann. Das ist doch, das ging, Leichen, ne wahr. Wir haben das gleich saubergemacht. Aber ich konnte anders ei¬ gentlich nichts machen, ich konnte nicht sagen, meine Herren, na, machen wir Schluß, ne wahr . . . Das ist ein Verbrechen, was ihr macht! Haben Sie selbst mal darüber nachgedacht , ob Sie auch schuldig geworden sind? Kaduk: Ja, na ja, ich habe, ich mein, ich hab mich ja schuldig gemacht, wo ich schon da, schon die Uniform angezogen habe. Denn die SS war ja von drüben aus schon eine verbrecherische Organisation. Vom Russen aus, ne wahr. Hab ich mich schon schuldig gemacht. Hab ich mich schon schuldig gemacht, ne wahr, ne wahr. 82 Ja, aber vor sich selbst? Kaduk: Ja, da habe ich mir auch so gemacht, wissen Sie. Habe ich mir gesagt, wir standen ja im Krieg, und ich sagte, so nach dem Krieg, nach 35 Jahren nach dem Krieg, da überall, guckt doch mal wieder in der Welt, was die da machen. Die schlachten da überall ab, ne wahr. Da sind Widerstandskämpfer, werden hingerichtet, ne wahr, das ist ein Weltproblem, ne wahr, so und so, guck mal, und im Gegenteil, das wird immer noch schlimmer. Wer weiß, was wir da erleben, in ein paar Jahren wird es einen furchtbaren Krieg geben. Wollt ich nicht erleben. Das nehm ich auch stark an. Es war vielleicht nicht richtig, na klar. Wir standen ja im Krieg, da wurde gemordet, ne wahr, links und rechts, ne wahr, und wir hatten Pech, daß wir den Krieg verloren haben. Was ist ein Menschenleben für Sie wert? Kaduk: Überhaupt, ne wahr. Sehen Sie doch heute, ne wahr, was ist ein Menschenleben heute wert, ne wahr. So wie gar nichts, sagen wir mal, ne wahr. Und für Sie persönlich, damals? Kaduk: Ja, ja, früher noch, damals, ne wahr, da war ich noch so einigermaßen, aber heute . . . Ein Autofahrer fährt, ne wahr, und Trunkenheit am Steuer, und über¬ fährt einen Menschen auf der Autobahn, ne wahr, der fährt weiter durch. Tut ihm gar nichts. Ich meine, das ist auch nichts, wie man das nennt, christlich, wie man das christlich nennen soll, ne wahr, nicht. Das ist, das ist nicht, ne wahr. Das halte ich auch nicht für richtig. Haben Sie damals versucht, hinter den einzelnen Men¬ schen auch ihr Schicksal zu sehen? Kaduk: Nein, ich hab, ich hab, wissen Sie, ich war, ich habe mir gesagt, Mensch, hoffentlich geht das gut. Das Ganze mal gut, ne wahr. Man hat das gesehen, ne wahr, da wurden es auf einmal dann mehr, ne wahr, ich hab manchmal raus, ne wahr. Halb neune, um neune, mußte 83 ich schon zum Chef, da haben sie einen Transport ge¬ bracht. Da haben sie vor der Blockführerstube haben sie sich aufgehalten, ne wahr, aufgezählt, so und so, die von die Gestapo, war ein Transportwagen, da kam der zweite Transport, und da bin ich so vorbeigegangen, da hab ich gesagt, Mensch, habe ich gesagt, was ist da heute los, hab ich gesagt? Seid ihr noch zu retten, hab ich gesagt, dem Untersturmführer von der Gestapo. Grabt ihr wohl die Menschen von der Straße auf? Ne wahr, ich hatte wohl schon, etwas angeheitert war ich gewesen, hab auch schon was gehabt. Und, sagte er, was ist denn das für einer? Hat er den SS-Mann gefragt. Das ist unser Rapportführer. Da ging er rein, wahrscheinlich zum Chef ging er rein. Dauerte nicht lange, ne wahr, da kam er rein von der Gestapo, sagt er, eine Beschwerde mach ich. Was haben Sie da geäu¬ ßert? Ja, habe ich gesagt, habe mich geäußert, ne wahr, ihr klaubt wohl die Leute auf der Straße auf, habe ich gesagt. Hab ich mich geäußert. Und sagt er: Sind Sie wahnsinnig? Na, hab ich gesagt, bleiben Sie ganz ruhig, habe ich gesagt, wenn Sie wollen, dann melden Sie mich, habe ich gesagt. Mir war das damals egal, wissen Sie. Hab gesagt, so oder so. Da haben sie gebracht, um neun Uhr haben sie gebracht zwölf Mann und 9 Uhr 20 kam die zweite Minna oder 9 Uhr 30, da haben sie gebracht acht Frauen und zwölf Mann so ungefähr, und dann, dann haben sie - eine Stunde ungefähr - gebracht den ganzen Transport von 35 Zugänge, sagen wir mal. Da kamen sie, die kamen von der Bahn, ne wahr, von der Bahn, da wurden sie ausgela¬ den und mußten sie, mußten sie von der Politischen Ab¬ teilung rüber, und zwei Blockführer mußten sie aufstel¬ len. Da sind sie hingefahren, haben ausgeladen von der Bahn. Da waren zwei Waggons gewesen, die Züge, die haben sie geklaut in Krakau, oder von wo sie gehabt haben. 84 Einmal, im Herbst des Jahres 1943, mußten die Häftlinge des Quarantänelagers in Birkenau einen ganzen Tag lang im Freien Appell stehen. Keiner durfte die Reihe verlassen. Ein Häftling, der seine Notdurft nicht mehr halten konnte, schlich sich trotz¬ dem aus seiner Reihe und lief hinter eine Baracke. Dort wurde er von einem SS-Mann entdeckt. Der führte ihn vor die ange¬ tretenen Häftlinge und schlug ihn. In diesem Augenblick ka¬ men ein anderer SS-Mann und Kaduk vorbei. Sie fragten, was los sei, worauf Kaduks Begleiter dem Häftling eine Ohrfeige gab. Der Häftling schwankte und berührte dabei Kaduk. Nun fing dieser an, den Häftling zu schlagen und zu treten. Dann riß er ihm die Mütze vom Kopf und warf sie über die Umzäunung hinaus, wo kein Häftling hindurfte. Der Häftling lief, um sich die Mütze wiederzuholen. Dabei geriet er in die den Häftlingen verbotene Zone und wurde von einem Wachtposten er¬ schossen. Kaduk hatte die Mütze des Häftlings nur deswegen in die Verbotszone geworfen, damit der Häftling in diese Zone laufen mußte. Kaduk wußte, daß die Wachtposten angewiesen waren, alle Häftlinge zu erschießen, die die verbotene Zone außerhalb der Umzäunung betraten. Träumen Sie manchmal von Auschwitz? Kaduk: Ich habe so abgeschaltet. Eine Zeit hab ich so nachgedacht, wissen Sie. Na, hab ich gesagt, Mensch, die ganzen Opfer, was da war, das brauchte nicht sein, ne wahr, sagen wir mal. Schuld war die ganze Führung. Damals, als sie das Judengesetz gemacht haben. Das brauchten sie nicht machen. Ich meine, damals war auch im Gespräch gewesen, daß man die Juden würde geben nach Madagaskar, ne wahr, wurde damals erzählt, ne wahr, aber da hieß es ja, die Engländer, die andern, die wollen die Juden nicht haben, ne wahr. So ich hab das damals erfahren. Damals war das im Gespräch, ne wahr. Die Führung hat sich so unterhalten, hab ich manchmal so aufgeschnappt. 85 Haben Sie das damals für richtig gehalten , daß Juden Untermenschen sind? Kaduk: Ja, warum nicht, ne wahr? Ich meine doch frü¬ her, vor dem Ersten Weltkrieg, da haben wir auch Juden gehabt, ne wahr, nicht. Ich meine, da haben Juden Ge¬ schäfte gehabt und so und so. Und warum, weil es damals, wo damals der Adolf Hitler kam, ne wahr, und die ganzen Judenverfolgungen. Das war auch nicht richtig. Das soll auch nicht sein. Ist egal, was für eine Nation oder welche Rasse. Sind die Juden für Sie andere Menschen? Kaduk: Nein, nee, warum denn. Die gleichen wie wir. Ich meine, ne wahr. Wir haben ja auch Juden hier (im Ge¬ fängnis). Manche Häftlinge, die staunen, die kommen manchmal zu mir, unterhalten wir uns dann, ne wahr, ich habe erklärt, wieso ... ne wahr, das ist. Aber damals in Auschwitz . . .? Kaduk: Ja, na ja, damals, das war ja so. Da hab ich immer, da hab ich auch gedacht, ich hab auch damals gedacht, so wie es früher war, wie es vor dem Ersten Weltkrieg war, da haben auch die Juden bei uns gelebt, die Geschäfte gehabt und da war alles durch den Krieg, ne wahr, und da der Adolf Hitler den Marsch geblasen hat, ne wahr, die Endlösung, das war auch nicht richtig gewesen. Und dann sind wir auch so populär, ne wahr, in der ganzen Welt, nicht. Heißt es nur immer: der Deutsche, ne wahr, der ist schuld an allem, ne wahr. Sie persönlich , haben Sie - nicht der Deutsche allgemein f sondern Sie persönlich - damals nie Skrupel empfunden? Kaduk: Nee, gar nicht, überhaupt gar nicht. Ne wahr, wurde ich einfach, ich will Ihnen mal was sagen, ich wurde damals so erzogen, so christlich, da bei uns war alles katholische Gegend, ne wahr, aber ich war ein Außensei¬ ter, ich habe niemals so geglaubt, wissen Sie, an die liebe Kirch und an die ganzen Pfarrers und so. Meine Familie, 86 meine Eltern waren furchtbar katholisch, ne wahr, nicht, wir sind bald jeden Sonntag in die Kirche gelaufen. Ich hab gesagt, komm, Kollege, hab gesagt, wir gehen nach der Kirche, während der Kirche gehen wir dann Skat spielen. Schwierigkeiten gehabt. . . der eine so, der an¬ dere so. Ja, aber man muß doch nicht Christ sein, um Skrupel empfinden zu können? Kaduk: Ja, ja, ja, wir wissen doch, Herr Doktor, na ja, damals war man noch jung, da tat man so was, ne wahr, nicht, so wahrscheinlich gedacht. Heute ist man älter geworden und sieht das alles, was man so erlebt hat, ne wahr, und so gesehen hat, Elend, ne wahr, noch mal Elend, ne wahr, na ja. Aber Sie haben doch damals mitten im Elend dringe¬ steckt . . .? Kaduk: Na ja, ich konnte ja nicht helfen, Doktor, es ist dasselbe für mich heute. Hilft mir auch keiner, heute sitz ich auch, es kommt keiner, keine Stimme von links, rechts, Mitte oder von oben, unten, die sagen sich, ja, tut uns leid, ne wahr, Sie haben sich eben das eingebrockt, man soll das erkennen, ne wahr, ich könnt das sehen, ne wahr, sollten sich lieber erschießen lassen . . .so ungefähr und sagen, ich mach das nicht mit oder so, so . . . Wär ich vielleicht heute ein Held gewesen, und wär ein Denkmal aufgestellt worden, wenn ich gesagt hätt, so, hätt ich vielleicht den umgelegt, oder den von den führenden Personen, ne wahr. Aber damals, ne wahr . . . hatt ich . . . war auch jung, ne wahr, dacht ich mir auch noch, wie wir mal das Leben aufbauen und so was, dergleichen, ne wahr, nicht. Und so gar nicht über nachgedacht, das ist schrecklich, furchtbar ist ein Krieg, das wissen wir ja, schon vom ersten weiß ich, vom zweiten jetzt, vom dritten . . . 87 Aber das war ja, Auschwitz war ja nicht direkt Krieg, sondern das war ja in der Etappe . . . Kaduk: Ja, das war ja, ja das war Etappe, ja, wo sollten sie auch hin, wo sollten sie, die mußten. Wir konnten ja nicht Leute nehmen, ne wahr, von den, da von den SS- Leuten, wie wir euch hier sagen. Es waren auch Kollegen, die waren auch an der Ostfront gewesen. Eiserne Kreuze, Erste, Zweite Klasse, und verschiedene Orden gehabt, ne wahr. Die haben das Pech nicht gehabt, vielleicht wären die das geworden, die Leute haben sich auch nicht freiwil¬ lig gemeldet. Die Rumänien-Deutschen oder die Un¬ garn-Deutschen, die wollten ja an die Front, die haben sich gemeldet, und die sind abkommandiert worden. Wenn sich da heute Leute hinstellen und den starken Mann machen, wenn der früher mal so den starken Mann gemacht hätte, wie er sie heute hier wollte, dann hätten sie ihm ganz kurz die Haare geschnitten, mein Lieber, wollen wir ganz ehrlich sein, ne wahr, nicht, na sehen Sie . . . Herr Kaduk, haben Sie sich damals auch nach dem Sinn gefragt, dessen, was da in Auschwitz stattfand? Kaduk: Ja, ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht, ich habe gedacht, was ist das für ein Sinn, ne wahr, überhaupt für einen Sinn, daß man, ne wahr, Leute, ne wahr, liquidieren tut, ne wahr. Ich mein, ich mein, jeder hat das Recht, zu leben auf der Welt, ist egal, was für Nation, welche Rasse, nicht. Aber damals im Dritten Reich, die haben das Gesetz verabschiedet. Da konnten wir, wir konnten nichts ändern an der Sache, und werden auch nichts ändern, auch hier würden Sie nichts ändern können, ne wahr. Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, daß Sie ein willfähri¬ ges Werkzeug gewesen sind? Kaduk: Ja, ja ich habe Ihnen gesagt, Sie sehen doch, wir waren doch, wie man das nennt, die Handlanger waren wir gewesen, ne wahr. Von den Herren, ne wahr, nicht. 88 Und die haben, und die haben uns die Verantwortung . . . die waren letztlich verantwortlich, ne wahr. Die haben uns ja nicht gefragt, ob wir das machen so oder so, da sind die Befehle rausgekommen, die Befehle wurden prompt ausgeführt, wie es sich gehört hat, ne wahr, man hat da nicht gefragt nach Recht oder Unrecht, denn die haben gesagt, die Verantwortung, mein lieber Bursche, trägst du mal. Ja, ja, man hat gesagt, die Verantwortung trag ich, aber daß es so gekommen ist, bitte, wollten sie nichts mehr wissen. Und wissen wir auch nichts mehr, ne wahr. Wenn Sie heute Ihrem Sohn Ihr Leben erklären müßten . . . Kaduk: Ja, das würde ich, würde ich ablehnen. Das sag ich Ihnen heute, lehne ich ab. Auch die Verwandten, ich hab viele Verwandte hier, ne wahr, die mich kennen . . . ne wahr, die zu den Enkelkindern sagen .. . die Ver¬ wandtschaft, ne wahr, das ist alles ziemlich so. Die mei¬ sten sind schon verheiratet, waren damals noch zwölf, dreizehn, fünfzehn Jahre, ne wahr, ich würde kein Wort sagen, ne wahr, die wissen ganz genau, daß ich hier bin, ne wahr. Und deswegen wußten sie auch, daß ich dann dort war, aber sonst Gespräche, nichts, Briefe, gar nichts, halte mich ganz zurück. Würde mich gar nicht einlassen, mit denen. Wie würde ich ihnen das erklären müssen, ne wahr, wenn sie fragen, ne wahr, meine Vergangenheit, da würde ich viel zu feige sein zu sagen, warum, ne wahr, das passiert ist. Gibt’s keine Entschuldigung, ne wahr. Sie sind während des Prozesses doch sehr stark von vielen Zeugen belastet worden? Kaduk: Ja, ja, die haben mich belastet, viele haben mich belastet, ne wahr, nicht. Die haben auch gesagt , der Kaduk , das ist der Schlimmste gewesen , der Schrecken des Lagers . . . Kaduk: Ja, ja, die haben gesagt. Einer muß ja da sein. Das war ich, ne wahr, sagen sie, ne wahr. Die haben ja nur 89 Belastungsmaterial, Belastungszeugen von Polen ge¬ schickt, ne wahr, Entlastungszeugen haben sie keinen gegeben, ne wahr, nicht, denn wenn ich würde sagen, Herr Doktor . . . Aber Sie hatten doch einen Rechtsanwalt, zwei . . . Kaduk: Zwei, zwei Rechtsanwälte. Wissen Sie, die ka¬ men, ne wahr, und gingen auch wieder. Die wollten das Geld haben, ne wahr. Das war Dr. Reiners, der war früher gewesen, ne wahr, Staatsanwalt in Frankfurt, der war ein guter Kollege vom Hofmeyer, ne wahr, und wenn die Verhandlung war gewesen, da hat er bestimmt, hat ihm einen Wink gegeben, ich habe acht gegeben auf ihm, da hat er bestimmt, da war Pause gewesen, da hat er vor sich hingesagt, na, jetzt machen wir Pause und hat ge¬ guckt, und hat Zettel überreicht. Meistens hat er, mit den Augen hat er ein Zeichen gegeben - und da war Pause gewesen. Und der Rechtsanwalt hat ihm bei der Robe gehalten, ne wahr, unten, und ist er gegangen, ne wahr. Bezahlt bekommen, 70000 Mark bekommen glaub ich, und 80 sogar Dr. Juler, 80000 Mark. Die hatten kein Interesse an uns gehabt. Ich wollt sie ablehnen, das Ge¬ richt, befangen, ne wahr, aber ich habe den Mund gehal¬ ten. Ich wär heute vor Gericht, ich würde dann aber was erzählen. Damals stand ich vor Gericht. Vor einem Ge¬ richt stand ich überhaupt noch nicht, keine Vorstrafe, gar nicht, keine Stunde, damals standen wir und da wußten wir, warum wo die Staatsanwälte und die Richter sitzen, ne wahr, nicht, ängstlich waren wir gewesen, ne wahr, nicht. Sind Sie der Meinung, daß die Zeugen, die Sie damals belastet haben, daß die gelogen haben? Kaduk: Ich will mal was sagen, das möcht ich nicht sagen, aber die - ich will was sagen, das ist nur Rache und, Rache und Vergeltung, die waren doch damals die Zeugen, die¬ selben Zeugen, die mich hier belastet haben in Frankfurt am Main. Die haben mich vor dem Militärgericht in Bau- 90 zen haben sie mich belastet auch, dieselben Zeugen sind gekommen und haben mich belastet auch. Vor den Rus¬ sen. Und ich habe sie aufmerksam gemacht, der Langbein und andere Leute, ne wahr, aus Wien sind sie hierherge¬ kommen, ne wahr, damals, und bei mir wieder, in Frank¬ furt wieder . . . Die haben in allem Unrecht gehabt? Kaduk: Na, na ja, ich weiß es nicht, ne wahr. Ich will mal sagen, ich hab sie kurzgehalten, ne wahr, kurz. Bei mir gab es nichts. Wir waren gerade dabei , uns zu unterhalten über die Diszi¬ plin im Lager. Sie haben sich dafür besonders verantwort¬ lich gefühlt? Kaduk: Ja, jawohl. Ich hab, das geb ich zu, ne wahr, ich meine, ich habe den Häftling auf den Arbeitsplatz, ne wahr, und der hat da was, ne wahr, was Verbotenes, ne wahr, dann hab ich ihn gemeldet. Dann wurde er vorge¬ führt. Dann bekam er Strafe, entweder bekam er Prügel¬ strafe oder er bekam Kiesgrube, drei Wochen, oder Sandgrube, drei Wochen, das lag am Anstaltsleiter. Da¬ mals Schutzhaftlagerführer. Ja, ich weiß, daß ich schwer belastet worden bin von Häftlingen, ja, ich habe auch dem Staatsanwalt gesagt, Herr Staatsanwalt, wenn das wahr ist, alles wahr ist, was mir die Häftlinge zur Last legen, dann bin ich nicht wert, daß mir die Sonne noch scheint, bitte ich darauf hinzu¬ weisen, hab ich gesagt. Was das ist, das ist Rache, hab ich gesagt, Rache und Vergeltung. Aber das macht nichts. Aber Häftlinge haben Sie geschlagen? Kaduk: Die hab ich geschlagen, das geb ich zu. Ich hab sie nicht totgeschlagen. Ich habe sie öfters geschlagen, geb ich zu, ne wahr, ich meine, ich will das nicht sagen, ne wahr, wegen so ein Lager, da hab ich Sandkasten gege¬ ben, Spucknäpfe, wie wir das so nennen, ne wahr, nicht. Die waren verantwortlich gewesen, die haben das über- 91 zogen mit Sand, und die sind früh gekommen oder sind ins Lager gekommen, ne wahr, und gespuckt auf . . . und ich, da nicht auf den Fußboden und den Bürgersteig im Lager. Da hab ich gesagt, kommen Sie mal her, hab ich gesagt, komm mal her, hab ich gesagt, machst du das zu Hause auch so? Nee, nein, da hat er schon eine geschos¬ sen bekommen, ne wahr. War ganz gut, eins, zwei. War der Fall für mich erledigt gewesen, ne wahr. Geb ich zu. Und wenn er nicht schnell war gewesen, da werd ich Ihnen sagen, da hab ich ihn ganz kurz, ne wahr, in Popo getreten, ne wahr. Wie man das nennt, Hintern getreten, ne wahr, nicht. Da war der von der Bildfläche weg, ne wahr. Denn sie müssen das anwenden. Das war so gewe¬ sen, nicht, nicht anders, ne wahr, nicht. Da war ich, da war ich, na klar, unbeliebt, ist ja mal klar. Man hat Sie den «Schrecken des Lagers» .. . Kaduk: Ja, ja, ach so, was heißt, der Schrecken des Lagers? Man hat mir gesagt, ne wahr, früher sagt man auch, heute sagt man SS-Scherge, ist alles Quatsch, ne wahr, nicht. Was heißt hier Schrecken? Ich war kein Schrecken gewesen, denn ich will Ihnen mal was sagen, ganz offen und ehrlich, wenn ich was zu sagen hätte gehabt, dann wär was anderes gewesen, nicht wahr, nee. Aber so, ich, ich, die andern sind ja nicht da, ne wahr, da bin ich heut der Schrecken von Auschwitz. Will Ihnen offen sagen, Herr Doktor, in Polen, da hat man mich hingestellt als Kommandeur, war ich gewesen, die Presse hat geschrieben, 1946/47, die Zeitung hat mir der Russe vorgelegt, vor die Nase, ich konnte lesen, als Komman¬ deur von Auschwitz, dabei war ich doch kein Komman¬ deur gewesen. Das muß doch jeder wissen, daß ich ein Handlanger war gewesen, hab nur meinen Befehl ausge¬ führt, ne wahr . . . Da hab ich gesagt, jawohl, die Verant¬ wortung übernehme ich, da steh ich auch dazu, mehr wie hinrichten können sie mir auch nicht, ne wahr, mal muß ich ja auch sterben, ist egal, ob politisch oder so, oder kriminell, ist mir egal. Aber nicht doch so, nee, nee, nee. 92 Das ist nicht. Das lehn ich ab, Sie können von mir denken, was Sie wollen, ne wahr. Fanden Sie das damals richtig und finden Sie das auch heute noch richtig , daß Sie die Häftlinge geschlagen haben? Kaduk: Na ja, ich will Ihnen was sagen, das war nicht richtig, man soll die Leute nicht schlagen. Nee, da sollte man eine Meldung gemacht haben und dem Schutzhaftla¬ ger gegeben, und der hätte sie bestraft. Da wär die Sache für mich ganz erledigt gewesen. Daß ich öfters mal ge¬ schlagen hab, das geb ich zu, öfters, nicht wahr, das geb ich zu. Ne wahr, nicht, streit ich ja gar nicht ab. Aber ich habe sie nicht totgeschlagen oder hab ich nicht umgelegt, ne wahr. Das war für mich wichtig gewesen, ne wahr, was die andern . . . Das war klar, ne wahr, ne wahr. Wenn sie heute ausrücken aus dem Lager, sollen fünf Häftlinge sein in der Reihe, da können keine sieben sein, nicht, und wenn sie da so stehen, da so, und da vorne muß gezählt werden, da muß alles gezählt werden, ne wahr, eine Hundertschaft nach der andern und wenn ich hab Anweisung gegeben, eine Hundertschaft nach der an¬ dern, dann muß das ausgeführt werden. Abstand, so, so, und da ist nichts zu ändern, ne wahr, sag ich. Das hat mein Schutzhaftlagerführer sich gewünscht, und so hab ich das ausgeführt, ne wahr. Da gibt’s gar nichts zu ändern an der Sache. Und so hat auch jeder Soldat an der Front seinen Befehl ausgeführt, ob das richtig oder nicht richtig war, ist egal. Ein Befehl, wo kommt, muß ausgeführt werden. Sie müssen, wenn Sie haben eine Truppe, das muß in Ord¬ nung sein, es kann nicht beigehen ein jeder und schalten und walten wie er will, ne wahr. Aber das muß doch nicht mit Schlägen und mit Tod enden? Kaduk: Ja, ja, aber wie sollten wir das machen? Soll ich die Herren vielleicht mit Glacehandschuhen anfassen? Wie bitte, ich meine, ich spreche mit einem normalen 93 Menschen, ne wahr, der etwas denken tut, und wenn ich sage, es ist verboten, Leute, ist verboten, ne wahr. Nicht wahr, sagen wir mal ... so bin ich erzogen worden, ne wahr. Bei mir nicht, ne wahr. Ist meine Einstellung, ne wahr. Stört mich gar nicht. Man glaubt mir das nicht richtig, was ich sag, aber was sollt ich machen. Jeder sagt hier heute so und so, ne wahr. 3. Josef Klehr Josef Klehr wurde am 17. Oktober 1904 in Langenau/ Oberschlesien geboren. Er besuchte die Volksschule und erlernte danach das Tischlerhandwerk bis zur Gesellen¬ prüfung 1921. Nach einigen Jahren Arbeit als Tischlerge¬ selle wurde er Ende 1934 Pfleger in einer Heilanstalt. 1938 übernahm er eine Stelle als Hilfswachtmeister im Zuchthaus Wehlau. Im Herbst 1932 war Klehr der Allge¬ meinen SS beigetreten, im August 1939 wurde er zur Waffen-SS eingezogen. Er kam zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Buchenwald, wurde 1940 als Sani¬ tätsdienstgrad (SDG) zum KZ Dachau versetzt und kam schließlich im Oktober 1941 nach Auschwitz. Dort war er zunächst im Häftlingskrankenbau (HKB) des Stammlagers als leitender Sanitäter eingesetzt, später im Nebenlager Gleiwitz in gleicher Funktion. Nach Räumung des Konzentrationslagers Auschwitz kam Klehr über die Tschechoslowakei nach Österreich, wo er in amerikanische Gefangenschaft geriet. Er wurde in das Kriegsgefangenenlager Böblingen gebracht und dort von der Lagerspruchkammer wegen seiner Zugehö¬ rigkeit zur Allgemeinen- und Waffen-SS zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. 1948 wurde er nach Braun¬ schweig entlassen, wo er bis zu seiner Verhaftung im September 1960 wieder als Tischler arbeitete. Klehr stand in dem gleichen Prozeß wie Oswald Kaduk vor Gericht. Er wurde zu lebenslangem Zuchthaus und weiteren fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt wegen Mordes in mindestens 475 Fällen und der gemeinschaftli¬ chen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in minde¬ stens sechs Fällen, davon in zwei Fällen begangen an mindestens 750 Menschen, im dritten Fall an mindestens 280 Menschen, im vierten Fall an mindestens 700 Men¬ schen, im fünften Fall an mindestens 200 Menschen und im sechsten Fall an mindestens 50 Menschen. 96 Herr Klehr, wann sind Sie nach Auschwitz gekommen? Klehr: Ich bin am 17. September 1939 eingezogen wor¬ den und kam gegen meinen Willen zur Waffen-SS. Ich wurde eingezogen und kriegte kurz vor Kriegsausbruch vom Wehrbezirkskommando einen Bescheid, ich hätte meinen alten Kriegsorder abzugeben, ich bekomme ei¬ nen neuen. Der neue Kriegsorder lautete: Ich bin zur Waffen-SS sichergestellt, freigestellt worden und mußte mich 1939 bei der Sammelstelle in Liegnitz melden, in Schlesien. Und dann ging es per Bahn, erst wurden wir kompanieweise zusammengestellt und dann ging es per Bahn nach: wohin, wußten wir noch nicht. Wußten nicht, zu welcher Einheit. Noch nichts. Da waren in Weimar, am Bahnhof, da waren gleich die Lkw da. Und da wurden wir auf die Lkw verladen, und da mußten wir die aktive Waffen-SS ablösen. Wir waren Reservisten. Und die ak¬ tive SS rückte aus zum Fronteinsatz und wir mußten gleich am nächsten Tag das Wachkommando überneh¬ men. Im Wachdienst. In Buchenwald. Da waren Sie zuerst in Buchenwald? Klehr: Da war ich zuerst in Buchenwald, und da hab ich, weil mir der Wachdienst nicht behagte, da hab ich an meine letzte Dienststelle geschrieben. Das war das Zuchthaus in Wehlau. Da war ich als Hilfsaufseher be¬ schäftigt, daß sie mich sollen u. k. stellen. Ich bin zum Wehrdienst bereit, aber nicht hier zum Wachdienst in dem Konzentrationslager. Daraufhin schrieb mir die Be¬ hörde zurück. Sie haben mich schon dreimal angefor¬ dert. Sie können mich aber nicht freikriegen, weil ich bei der Waffen-SS bin. Daraufhin hab ich gleich, wo ich den Bescheid gekriegt habe, habe ich das erste Versetzungs¬ gesuch eingereicht zur Front. Mit der Begründung: da ich als Sanitäter ausgebildet bin, kann ich an der Front 97 einen wichtigeren Dienst verrichten als hier im Wach¬ dienst. Meiner Versetzung wurde stattgegeben. Ich kam aber nicht an die Front, sondern wurde versetzt nach Dachau. Dort habe ich Dienst gemacht als Sanitäter, teilweise im SS-Revier beim Truppenrevier und teilweise im HKB, im Krankenbau. HKB heißt Häftlingskrankenbau. Und nach einem Jahr hab ich mich in Dachau wieder zur Front gemeldet. Da hab ich mir erstmals eine runde Zigarre eingehandelt. Sie haben da ihren Dienst zu machen, wo sie hingestellt werden. Und im Falle einer Befehlsverwei¬ gerung wissen Sie, was das für Folgen hat. Drei Tage drauf war ich schon versetzt worden nach Auschwitz. Ich habe mir keine, in Buchenwald, in Dachau und in Auschwitz keine selbständigen Handlungen schuldig ge¬ macht, wie sie mir zur Last gelegt worden sind. Da bin ich zu Unrecht verurteilt worden. Ich habe nur auf Befehl, den meines Lagerarztes, meines Vorgesetzten . . . Und das hätte ich auch noch nicht machen brauchen. Ich war dort als Sanitäter, wie es Ihnen bekannt ist. Und da hab ich eines Tages feststellen müssen, da haben sie einen splitternackten Menschen, rechts und links gestützt, run¬ ter in den Keller geführt. Von den Funktionshäftlingen, Häftlingspfleger und Häftslingsarzt. Und ich hab ge¬ dacht, gar nicht denkbar, was ist, was machen die mit dem Menschen da unten im Keller? Ich hab da vorher nichts bemerkt. Da bin ich hinterhergegangen. Da unten war die Leichenhalle. Und da waren sie fest beim Spritzen. Da hab ich sie zur Rede gestellt, wer denn den Befehl gegeben hat. Da wollten sie zuerst nicht raus. Aber jetzt will ich’s wissen. Da hat der mir gesagt, der Rapportfüh¬ rer, der Rapportführer war bei uns so wie hier bei der Justiz der Dienstaufsichtsleiter. Der hat die Leute in den Krankenbau geschickt und hat sie von den Häftlingen eine Injektion durchführen lassen. Ohne daß die dem Lagerarzt vorgestellt werden. Denn die Vorschrift lautete: Jeder Häftling, der zur Sonderbehandlung kam, entweder zur Vergasung oder 98 zur Abspritzung, mußte erst der Lagerarzt bestimmen. Der kam frühmorgens, hat sich die kranken Leute ange¬ guckt, denn der Häftlingsarzt hat ja schon alles vorberei¬ tet gehabt. Da waren Karteikarten, da hat er die Diagno¬ se reingeschrieben. Da wurden die Häftlinge dem Lager¬ arzt vorgestellt, und der hat laut Karteikarte hat er das gesehen, was für eine Diagnose. Da hat er entweder bestimmt, Aufnahme im Krankenbau oder Schonungs¬ block oder Sonderbehandlung. Was hieß Sonderbehandlung? Klehr: Das war die Injektion. Was war eine Injektion? Klehr: Die Phenol-Injektion, die Spritzerei. Was ist das für eine Injektion , die Phenol-Injektion? Klehr: Ja, wie, wie, was? Kriegten die Häftlinge da eine Injektion in die Vene? Klehr: Die wurden intravenös gespritzt, erst mal. Und weil die Häftlinge so wenig tiefliegende Adern hatten, da mußte immer drei- oder viermal gestochen werden. Denn da haben die Häftlinge das erfunden. Da haben sie direkt in den Herzmuskel gespritzt. Und die Ärzte , die haben sich das nur in den Karteien angeguckt. Und nur aus den Karteien heraus wurde be¬ stimmt , wer dem Tod überliefert wurde. Oder wer in den Krankenbau durfte. Und die Häftlinge wurden überhaupt nicht. . . ? Klehr: Die Häftlinge wurden von dem Häftlingsarzt erst mal voruntersucht. Der hat sie untersucht und hat in die Karteikarte reingeschrieben, entweder Grippe oder ir¬ gend etwas Ähnliches. Und da wurden sie dem Lagerarzt vorgeführt, die kranken Häftlinge. Und da hat der Lager¬ arzt entschieden, entweder Aufnahme im Krankenbau als Kranke oder Aufnahme im Schonungsblock oder zur Sonderbehandlung. 99 Ja, Sie haben eben erzählt, w/e Sie das erste Mal gesehen haben, w/e da zw/ Häftlinge im Keller . . . Klehr: Und auf Grund dessen hab ich sie zur Rede gestellt. Und da haben sie mir gesagt, der Rapportführer hat das bestimmt, ohne daß sie dem Lagerarzt vorgestellt worden sind. Und auf diese Sache, das hab ich meinem Vorgesetzten gemeldet, dem Lagerarzt. Von dem Mo¬ ment hab ich mir den Befehl eingehandelt, da mußte ich die Sache führen. Können Sie das mal beschreiben? Wie ging das vor sich? Den ganzen Vorgang? Klehr: Ja, den Vorgang hatte ich meinem Vorgesetzten gemeldet, daß Häftlinge abgespritzt wurden, ohne der Genehmigung vom Lagerarzt. Nein, nachdem Sie jetzt den Befehl hatten, nachdem Sie jetzt damit beauftragt waren, die Abspritzung vorzuneh¬ men. Können Sie mal den ganzen Ablauf schildern, wie das war, wenn die Häftlinge kamen und bis zum bitteren Ende? Klehr: Ja, da hab ich selbst dazumal meine Beobachtun¬ gen gemacht. Da hab ich selbst gestaunt, daß die Häftlin¬ ge, die haben ja nicht mal geweint oder sich gewehrt. Die haben sich auf einen Stuhl gesetzt und haben gewartet, bis es soweit war. Hab ich mir dazumal meine Gedanken gemacht. Mache ich mir heute noch. Da hat sich doch kein Häftling gewehrt oder hat auch kein Häftling ge¬ weint. Denn die wußten, das war doch ein offenes Ge¬ heimnis: die dort ausgesondert wurden, da wußten sie, wo sie hingingen. Das war klar, das war offenes Geheim¬ nis. Und da hat sich kein Häftling gewehrt, wie es bei dem Prozeß vorgekommen ist, daß sich soll ein Häftling ge¬ wehrt haben und ich hätte mich . . . Herr Klehr, können Sie uns noch einmal ganz ausführlich von Anfang an erzählen, wie das mit den Selektionen vor sich ging? 100 Klehr: Ja, da will ich mal das so anfangen: Die Häftlinge, die sich krank gefühlt haben, die mußten sich am Block krankmelden. Beim Rapportführer. Der Rapportführer hat sie dann zusammengefaßt, die Kranken, und hat sie mit dem SS-Mann in den HKB schaffen lassen. HKB heißt Häftlingskrankenbau. Und im Häftlingskranken¬ bau kamen sie in ein extra Zimmer, und dann wurden sie einzeln in den Ambulanzraum reingeführt. Und der Häftlingsarzt hat die Diagnose festgestellt. Und hat zu gleicher Zeit die Diagnose, wie ich schon sagte, in die Karteikarte geschrieben. Der Häftlingsarzt , das war also selbst ein Häftling? Klehr: Das war selbst ein Häftling. Und wir haben auch Häftlingspfleger gehabt, als Funktionshäftlinge. Wenn der Häftlingsarzt fertig war, dann sind sie wieder in den Raum zurück und mußten warten, bis der Lagerarzt kam. Wenn der Lagerarzt dann kam, dann mußte ich den La¬ gerarzt begleiten bei der Visite. Der Lagerarzt war ein SS-Arzt. Ein SS-Lagerarzt. Den mußte ich dann beglei¬ ten zu dieser Vorstellung da. Und dann hat er die Kartei¬ karte genommen und hat geguckt, was da draufstand. Und dann hat er eben entschieden. Da hat er gar keine Untersuchung mehr vorgenommen. Er hat nur abgele¬ sen, was der Häftlingsarzt hat festgestellt. Und da hat der Lagerarzt entschieden, entweder Aufnahme in den Kran¬ kenbau als Kranker oder Schonungsblock zur Erholung, vierzehn Tage, drei Wochen oder Sonderbehandlung. Was heißt Sonderbehandlung? Klehr: Das war die Injektion. Die Abspritzerei da. Son¬ derbehandlung. Können Sie die Sonderbehandlung mal schildern? Klehr: Ja, wie soll ich das schildern? Da waren Häftlin¬ ge, die unter die Vergasung fielen, und Häftlinge, die mit in kleinem Maße Injektionen durchgeführt wurde. Im Stammlager, im Krankenbau. 101 Wie ging das dann vor sich? Klehr: Die Häftlinge wurden dann vom Block 28 bei dem Ambulanzbehandlungsblock, da wurden sie rüber¬ geführt in Block 20. Im Block 20 war die Infektionsabtei¬ lung. Da kamen sie wieder in ein extra Zimmer, und dann wurden sie einzeln rausgeführt in Block 20, rechts das erste Zimmer. Dort war diese Sache durchgeführt wor¬ den. Man hat ja noch nicht mal die zwei Kubik ausge¬ spritzt gehabt, dann sind sie schon im Stuhl zusammenge¬ sackt. Dann sind zwei Häftlinge gekommen und haben sie rausgenommen. Und haben sie gegenüber wieder in ei¬ nen Raum geschafft. Und wenn die ganze Sache vorbei war, dann ist der Wagen gekommen und hat die Leichen da rausgenommen. Und sie wurden ins Krematorium gefahren. Wie soll ich das beschreiben? Mit was. Können Sie die Szene noch einmal genau beschreiben , den Vorgang des . . . Abspritzens? Klehr: Sie tun mich ja unheimlich quälen, kann ich sa¬ gen. Sie tun mich ja unheimlich quälen hier. Wie soll ich das beschreiben? Wie war das, wenn die Häftlinge hereinkamen? Haben die nicht gespürt, daß sie nun getötet werden? Klehr: Das hab ich Ihnen ja schon gesagt. Die Häftlinge haben nicht geweint. Die haben sich nicht gewehrt. Die haben sich reinführen lassen, haben sich auf den Stuhl gesetzt. Und haben dann dagesessen, bis das vorbei war. Kein Wort gesprochen, nichts. Und sie haben die Spritze direkt ins Herz bekommen? Klehr: Zuletzt ist das ins Herz gespritzt, in den Herz¬ muskel. Weil die Venen waren tiefliegende Venen. Da hat man die Venen nicht gleich gefunden, da mußte man drei-, viermal stechen. Und die Häftlinge haben das ei¬ gentlich erfunden, daß das gleich direkt in den Herzmus¬ kel gespritzt wurde. 102 Da durften auch Häftlinge andere Häftlinge töten? Klehr: Das haben sie ja vorher gemacht. Ich hab’s erst machen müssen, von dem Moment, als ich die Meldung gemacht habe meinem Vorgesetzten, daß Häftlinge Häft¬ linge abgespritzt haben. Und daraufhin hab ich mir erst den Befehl eingehandelt, da mußte ich mir die Hände schmutzig machen, auf Grund dieses Befehls. Ich hab mich noch mit dem Lagerarzt da rumgebissen. Und zum Schluß hat er gesagt, wenn sie nicht wollen, da bring ich Sie vors Kriegsgericht. Sie haben den Befehl auszufüh¬ ren. Was sollt ich machen? Hätt ich den Befehl verwei¬ gert, das gab’s doch nicht bei der SS: Befehl verweigern. Erst mal hätte das ja Schule gemacht. Da hätte sich müssen der Reichsheini allein hingestellt und hätte den KZ-Dienst gemacht. Sehen Sie, ich habe mich weggemel¬ det in Buchenwald, und wo bin ich hingekommen? Nach Dachau. In Dachau hab ich mich wieder zur Front gemel¬ det. Und wo bin ich hingekommen? Nach Auschwitz. Wie viele Menschen sind durch Injektionen Ihrer Schät¬ zung nach getötet worden? Klehr: Meiner Schätzung nach waren das, die im Häft¬ lingskrankenbau getötet worden sind, war das wöchent¬ lich verschieden. Manchmal waren das zwanzig, manch¬ mal fünfzehn, manchmal dreißig. Das kann ich Ihnen nicht genau angeben. So ungefähr. Pro Tag dreißig? Klehr: Nein, nein. Zweimal die Woche. Nicht pro Tag. Das haben Sie gelesen. Aber das ist nicht wahr. Das wird geschrieben. Dreißig. Wenn eine größere Sache war, das die Leute mehr waren, dann sind sie aufgehoben worden, bis die Vergasung im Krematorium losging. Und da hat man sie dort rausgeschafft. Aber mehr sind nicht vorge¬ kommen, wie die in dem Buch schreiben, in dem Ausch- witz-Buch da. Ich bin beschuldigt worden in dem Prozeß, ich hätte 25 000 bis 35 000 Menschen abgespritzt. Ich hab das nur 103 ein Vierteljahr machen brauchen. Dann bin ich abgelöst worden, da mußt ich die Seuchenbekämpfung durchfüh¬ ren. Weil eine große Seuche, Epidemie, ausgebrochen ist in Auschwitz. Wie viele haben Sie nach Ihrer eigenen Schätzung abge¬ spritzt? Klehr: Ich hab zweimal die Woche, einmal fünfzehn, an einem anderen Mal waren es zwanzig. Klehr liebte es, nach der Untersuchung der kranken Häftlinge durch den Lagerarzt weitere Häftlinge in den Krankensälen des Häftlingskrankenbaus für die Tötung durch Phenol auszusu¬ chen, sowie der Lagerarzt das Lager wieder verlassen hatte. Dabei ging er durch die Krankenblocks und wählte willkürlich jüdische Häftlinge aus, die ihm schwach erschienen. Klehr hat¬ te eine Vorliebe für gerade Zahlen. Er wollte die Zahl der durch den Lagerarzt zur Tötung ausgewählten Häftlinge «nach oben aufrunden». Wie viele waren es dann insgesamt etwa? Klehr: Na, sagen wir mal, vierzig so insgesamt die Wo¬ che, vierzig oder dreißig. Wie viele Wochen haben Sie das gemacht? Klehr: Ich hab das ein Vierteljahr machen müssen. Ist es Ihnen schwergefallen? Klehr: Ja, das kann ich wohl sagen. Das geht auf die Nerven. Meine ganzen Magenbeschwerden, die ich hab, und dieses Augenzwinkern, das ist alles darauf zurückzu¬ führen. Das ist eine nervliche und seelische Belastung, die von uns verlangt wurde. Das kann man sich nicht vorstellen. Empfanden Sie das damals als normal , daß Häftlinge , die eben etwas schwerer krank waren , daß die , daß da gesagt 104 wurde, die sind dann nicht mehr wert zu leben, die werden getötet? Klehr: Ja, da bin ich überfordert, darüber möchte ich mich nicht äußern, das kann ich nicht, nein. Was soll ich da sagen? Da belaste ich mich ja bloß selber mit. Ich habe damals nur meinen Befehl ausgeführt. Und hätte ich den nicht ausgeführt, dann wäre ich genau an die Wand ge¬ stellt worden wie jeder andere. Können Sie sich noch an die Straße erinnern im Lager, an die Lagerstraße, in der der Häftlingskrankenbau war? Wie sah die Straße aus? Klehr: Ja, die Straße ging . . . hier war das Tor, da ging sie hier rein und dann ging sie rechts rum, die Straße hoch bis hinten zum Krankenbau. Der Krankenbau war hin¬ ten. Wenn hier das Tor . . . Der Krankenbau lag gegenüber auch dem Block 11? Klehr: Der Krankenbau . . . Block 11 . . . Bunker¬ block . . . und gegenüber lag der Block 11. Auf der ande¬ ren Seite war Block 21, Block 20 und Block 19, und hinten war dann von dem Professor, ich weiß jezt nicht mehr, wie der heißt, der hat dort die Experimente mit den Frauen durchgeführt - was für ein Block das war, das hab ich . . . Block 10 war das gewesen. Hätt ich mir gesagt, ach, das ist mir egal, ob heute fünfzig oder morgen hundert, und wär weggegangen, hät¬ te ich mir den Befehl nicht eingehandelt. So hab ich mir gesagt, der Rapportführer war nicht berechtigt dazu, die Häftlinge abspritzen zu lassen, ohne dem Lagerarzt vor¬ zustellen. Ich war ja als Unterstützung dem Lagerarzt da, seiner Dienststelle. Und das hab ich meinem Vorgesetz¬ ten gemeldet, und von dem Moment hab ich mir den Befehl eingehandelt, da mußte ich das machen. Herr Klehr, können Sie uns noch einmal die Lagerstraße schildern, in der der Häftlingskrankenbau war, in dem Sie tätig waren? 105 Klehr: Ja, wie soll ich den schildern? Kann ich ihn eben mal aufmalen hier? Es ist besser, wenn Sie das so erzählen. Klehr: Sie quälen mich ja hier. Ich schwitz ja schon hier. Hier, sehen Sie, hier, nehmen wir mal an, hier ist der Lagereingang, das Tor . . . funktioniert? Bis hier war das Lagertor. Da kam man hier rein, dann ging man ein Stück geradeaus und dann machte man einen Rechtsschwenk, marsch, nee, und dann ging’s wieder geradeaus, die Stra¬ ße ... da war doch die Küche, rechts lag doch die Küche, und links war der Puff, wenn sie reingekommen sind vom Lager, da war doch der Puff für die Häftlinge, nicht für uns, sondern für die Häftlinge. Und dann machten sie rechtsschwenk Marsch, gingen sie geradeaus durch bis hinten hin, und da hinten war der Krankenbau. Links, 19, da war der Schonungsblock, 20 war die Infektionsabteilung, 21 war die chirurgische Ab¬ teilung, die Operierten, die lagen auf 21 und drüben Block 28, war der Ambulanzblock, da wurde die Ambu¬ lanz durchgeführt, wie Sie sagten, gerade rüber vom Block 11. Ja, dann war’s oft so, daß die Plätze in dem Krankenblock nicht ausreichten für die kranken Häftlinge? Klehr: Die waren nicht ausreichend. Die haben zu zwei¬ en müssen in einem Block, in der Chirurgischen lagen sie extra, und da hatten sie auch Bettlaken und Unterwäsche da usw. Aber dann im anderen Block, 20, da lagen, da haben wir schon, waren ständig überbelegt. Trotzdem wir schon 28, 21, 20, 19 Blöcke gehabt haben. Wir waren ständig, jeder Block war belegt, mit zwischen 550 bis 600 Mann, waren zwei Etagen. Gab es da Einzelbetten, oder? Klehr: Nein, nein, die mußten schon, auf dem Infek¬ tionsblock mußten sie schon zu zweit liegen, weil wir nicht ausgekommen sind. 106 Zu zweit in einem Bett? Klehr: Ja. Wie hoch war denn die Sterblichkeitsrate etwa? Können Sie sich noch daran erinnern? Klehr: Ja, das kann ich Ihnen nicht sagen, das . . . der Erber wird es wissen, der hat ja die Sache geführt dort, die Politische Abteilung. Ich kann mich darüber nicht mehr erinnern. Sie waren ja dann auch Leiter der Desinfektionsabteilung? Klehr: Richtig. Was war das für eine Abteilung? Klehr: Im Sommer 1942 ist dann eine große Seuchen¬ epidemie in Auschwitz ausgebrochen. Da waren aller¬ hand Krankheiten, allerhand Infektionskrankheiten. Da wurde sogar das Lager über ein Jahr gesperrt, da durfte keiner rein und durfte keiner raus. Und dieses Desinfek¬ tionskommando, das war, da mußte ich dann, da hatte ich hier, wurde ich beauftragt; dann habe ich da drei Kom¬ mandos aufgestellt von Häftlingen und von SS-Männern und die mußten dann, nicht bloß bei den Häftlingen desinfizieren, sondern ich mußte ja auch die Truppe, die Unterkünfte von der Truppe entwesen. Und das haben die Häftlinge gemacht, und da haben wir natürlich mit scharfen Mitteln da gearbeitet. Da haben wir bei der Seuchenbekämpfung, haben wir das Zyklon B genommen, dieses Gas. Haben wir eine große, lange Tonne gehabt, so eine Eisentonne, die war acht Meter lang, da haben wir Wasser reingetan und haben dann auf das Wasser soundsoviel Zyklon B reinge¬ tan. Und in diese Lösung haben wir dann die Kleider reingetan, so eine Lösung . . . Wir haben wohl Desinfek¬ tionskammern da gehabt, Heißluftkammern, aber man kriegte wohl die Läuse tot, aber die Brut kriegte man nicht tot. Wenn wir die Leute desinfiziert haben, acht Tage darauf hatten sie schon wieder soundsoviele Läuse. 107 Warum? Weil dann, die Läuse saßen ja meist an den Haaren, die Eier, die Brut von den Läusen. Und wenn die Eier dann die Körperwärme kriegten, dann schlüpften wieder Läuse aus. Und da sind wir gar nicht. . . Über eineinhalb Jahre haben wir die Entwesung durchgeführt. Und da waren ja nicht bloß die Männerlager, die Frauen¬ lager mußte ich auch noch machen. Und die SS-Unter- künfte. Sie haben auch dann Dienstpläne auf gestellt für die Verga¬ sungskommandos? Klehr: Ja, sehen Sie, das ist eben unwahr. Und da hab ich hier, das kann ich Ihnen zeigen, da hat der ehemalige Spieß, der Ontl, der hat mich damit belastet. Und da hab ich ihn gefordert. Der Staatsanwalt hat den nicht ge¬ bracht. Ich hab dann durch meinen Rechtsanwalt ver¬ langt, daß der Spieß als Zeuge geladen wird. Und dann hat er da sich das angehört und ich wurde gehört, und da sagte er dann, der Vorsitzende zum Spieß, ja, haben Sie gehört, was der Klehr gesagt hat? Das war 1942? Klehr: Im Sommer 1942, ja. Im Juni oder Juli war ich mit der Desinfektion angefangen. Bis 1943 im Sommer. In der Zeit haben Sie also nicht im Sanitätsbereich gearbei¬ tet dann? Haben Sie nur die Desinfektion gemacht? Klehr: Da hab ich nur die Desinfektion gemacht, ich hab die Häftlinge, waren so zehn SS-Männer, davon hatten viere einen Gasschein, für die Vergasung. Die mußten erst einen Lehrgang machen, wie mit dem Gas umzuge¬ hen ist usw. Denn das Gas war ja nicht bloß hochgiftig, das Gas war ja auch explosiv. Das ist dasselbe Gas , mit dem die Häftlinge vergast wurden? Klehr: Genau. Und dann mußten wir im Lagerraum, wo das Gas gelagert hat, da mußten wir die Fensterscheiben 108 alle abdunkeln, alles zustopfen, daß kein Sonnenschein reinkam. Da ist uns noch manche Büchse, ist uns in dem Lager hochgegangen. Gab es schon im Stammlager Vergasungen? Klehr: Im Stammlager war einmal die Vergasung im Block 11. Das war die Probe. Hat der Lagerführer ange¬ ordnet, ich weiß nicht, Fritsch oder ungefähr hieß der Lagerführer. Der hat dort ausprobiert, mit dem Zyklon B Leute zu vergasen. Das war die Ausprobierung, unten im Keller in Block 11, in dem Arrestblock. Dort wurde das erste Mal, das muß - ich bin im Oktober 1941 nach Auschwitz gekommen - das muß um den Dreh sein, wo ich nach Auschwitz gekommen bin. Um diese Zeit muß es gewesen sein. Das hat der Lagerführer ausprobiert, das Zyklon B. Die haben da mit verschiedenen Sachen haben die ja ausprobiert, und dann ist er draufgekommen, mit dem Zyklon B, und das wurde unten in Block 10, Block 11 ausprobiert. Und daraufhin ist dann die weitere Ver¬ gasung weitergegangen. Da waren draußen, in Birkenau draußen waren, also waren alte Bauernhäuser, da haben sie das ungefähr so eingerichtet als Vergasungsraum. Und die Krematorien, die sind ja erst Anfang 1943 fertig gewesen. Früher hatten wir ja bloß ein ganz kleines Kre¬ matorium, grade rüber vom SS-Revier war doch das klei¬ ne Krematorium. Was wollen Sie büßen? Was haben Sie zu büßen? Klehr: Für das, was ich da schließlich auf Befehl machen mußte. Aber da hätte ich doch eine Zeitstrafe erwartet. Aber Himmelblau (Lebenslänglich) hätte ich nicht er¬ wartet. Ich habe meine Karten bei meinem Prozeß offen auf den Tisch gelegt, das und das habe ich gemacht auf aus¬ führlichen Befehl meines Vorgesetzten. Und was war? Die Häftlinge, die hielten die Hand hoch und da war’s die reinste Wahrheit, da war die Hälfte von mir Schutzbe¬ hauptung und die andere Hälfte war unwahr. Und wenn 109 jemand weiter noch gesprochen hat, dann wurde man angeblökt vom Vorsitzenden: Angeklagter Klehr, setzen Sie sich! Wir sind ja nicht so erzogen wie die Baader- Meinhof-Bande, die haben da rumgemacht, wir sind ja gar nicht so erzogen. Wenn uns der Vorsitzende hat angeblasen, ja, dann haben wir uns hingesetzt. Wenn man so die Baader- Meinhof-Prozesse verfolgen tut, ja, was haben die dem Vorsitzenden an den Kopf geschmissen oder den anderen und jenem. Das ist doch bei uns nicht einmal vorgekom¬ men. Und bei uns ist auch nicht einmal vorgekommen, daß im Falle, im Zweifelsfalle, von dem Angeklagten angenommen werden muß. Nicht einmal. In dubio pro reo oder so, ich hab ein Gebiß, da kann ich immer schlecht sprechen, dann rutscht mir das immer hier run¬ ter. Das ist nicht einmal angefangen. Sehen Sie, den ganzen Prozeß, der hat eineinhalb Jah¬ re gedauert, da haben die Geschworenen weder eine Frage an den Zeugen gerichtet oder an den Angeklagten. Ist nicht einmal vorgekommen. Und nie ist angewandt worden: Im Zweifelsfalle von dem Angeklagten. Ich sage ja, bei uns hieß es dann bloß, die Hälfte ist Schutzbehaup¬ tung, die andere Hälfte ist unwahr. Und da bin ich verur¬ teilt worden. Ich soll noch Leiter des Vergasungskom¬ mandos gewesen sein. Das war ich im Leben nie gewesen und das hat auch nicht bestanden, ein Leiter des Verga¬ sungskommandos. Ich war mit der Leitung der Desinfek¬ tion zusammen, und das haben die Häftlinge umgemodelt und haben das hingestellt, ich war der Leiter des Verga¬ sungskommandos. So ist das nämlich. Deshalb hab ich ja den Spieß dazumal bestellt, weil der mich hat auch be¬ schuldigt, ich hätte Vergasungen durchgeführt. Und das hab ich dann ihm widersprochen, und dann hat ihn der Vorsitzende gefragt, den Spieß, was er dazu sage. Da sagt er, ja, ich war dazumal bei meiner Vernehmung, ich war aufgeregt, und ich muß jetzt sagen, daß es richtig ist, wie es der Klehr jetzt sagt, so war es gewesen. Aber erst hat er mich belastet. Und der wäre nicht als Zeuge aufgetreten, 110 wenn ich ihn nicht angefordert hätte, daß er als Zeuge jetzt hier aufmarschieren darf. Ich kann Ihnen sagen, unser Prozeß: das ist einmalig in der modernen Rechts¬ pflege, das es überhaupt durchgeführt worden ist. Wie sie uns verarztet haben und verkraftet haben, nee . . . Das hätte ich mir in meinem Leben nicht träumen lassen, daß man, wenn man die Wahrheit sagt, daß man dann noch bestraft wird mit «Himmelblau». Ich bin ja mein Leben lang das erste Mal vor Gericht gewesen. Ich hab gezittert, wo ich bin die ersten Tage zum Prozeß gegangen. Wenn ich aufstehen mußte, dann sind mir die Knie weich ge¬ worden. Am liebsten wäre ich unter die Anklagebank gekrochen, vor Schande und vor Dings, angestrahlt und vor dem Publikum. Und dann die unwahren Aussagen von den Zeugen. Ich hab ein Magengeschwür, wenn der Prozeß beendet war. Ich hätte ja können meinen Prozeß abtrennen lassen. Mir haben sie eine Trage hingestellt, und wenn es dann stark geschmerzt hat, dann habe ich mich auf die Trage gelegt, und habe ich auf der Trage ausgesagt. Ich konnte ihn ja abtrennen lassen, aber ich habe ja alles das nicht gewußt. Wenn ich hätte dazumal das gewußt, was ich heute weiß, dann . . . Ich bin doch niemals ein Leiter des Vergasungskommandos gewesen. Ich habe das zugegeben mit den Handlungen, schwupp, war ich Leiter des Vergasungskommandos. Ich hab das und das gemacht, ich hab das und das gemacht. Ich hab ja dem Vorsitzenden gesagt, sag ich, wenn ich das alles so gemacht hab, dann müßte ich ja zwanzig Hände gehabt haben. Was haben Sie gemacht? Klehr: Bitte? Was haben Sie gemacht? Klehr: Ja, ich hab Ihnen ja erzählt, ich war als Sani eingeteilt. Und hätte ich nicht die Meldung gemacht an meinen Vorgesetzten, daß da Häftlinge abgespritzt wer¬ den von Häftlingen, dann hätte ich mir ja gar nicht die 111 Hände schmutzig machen brauchen. Daraufhin hab ich mir ja den Befehl erst eingehandelt. Hätte ich die Augen zugemacht und wäre weggegangen, wie es verschiedene andere gemacht haben, dann wäre ich nicht angeklagt gewesen. Ich bin in Buchenwald nicht angeklagt, und ich bin in Dachau nicht angeklagt. Und ich bin dann versetzt worden, im Sommer 1943, in die Außenlager nach Glei- witz. Und da, selbst zwei Zeugen haben bestätigt, beim Prozeß haben sie ausgesagt, wenn der Oberscharführer Klehr nicht wäre in Gleiwitz gewesen, dann wären dort soundsoviel tausend noch mehr vergast worden. Ich hab mich in Gleiwitz in dem Außenlager mit dem Lagerführer rumgezankt, weil die ja denselben Dienstgrad hatten wie ich. Die waren ja auch bloß Oberscharführer und ich war ein Oberscharführer. Und ich hab ja dann die Betreuung von den Kranken gemacht in zwei Lagern. Und die woll¬ ten haben, wenn ein Häftling krank war, jupp, jupp, Auschwitz. Und ich wußte ja, wenn die nach Auschwitz kamen, wo die hingehen, wo sie gelandet wären. Die wären vergast worden. Und da hab ich dem Lagerführer gesagt, hier bin ich verantwortlich für die Betreuung der kranken Häftlinge und dazu hab ich zu bestimmen. Und die bleiben hier und werden nicht ausgesondert. Das ist nur eine vorübergehende Krankheit und die werden wie¬ der arbeitseinsatzfähig. Ich hab keinen Häftling ausson¬ dern lassen in den Außenlagern. Das haben zwei Häftlin¬ ge bestätigt, das steht im Prozeß drin, da steht’s drin, im Urteil, ja, wo der Oberscharführer Klehr in den Außenla¬ gern war, da hat er sich anständig geführt. Ja, sehen Sie, das ist doch ein Widerspruch. In den Außenlagern, da konnte ich selbständig handeln, ich konnte abspritzen, ich konnte das machen, ich hatte kei¬ nen Lagerarzt über mir, ich hatte selbständig ohne Arzt gehandelt da. Ich hatte wohl einen Häftlingsarzt, denn ich bin ja nicht Arzt, ich hab eben nicht studiert, und dafür hatte ich ja einen Häftlingsarzt da. Wenn mir der Häft¬ lingsarzt das und das gesagt: «Der ist krank», hab ich Meldung geschrieben an den Lagerführer, daß der ver- 112 legt wird in den Krankenbau. Ja, und so hab ich das weiterbehandelt. Hätte ich da, wenn ich da nicht anstän¬ dig geführt hätte - ja, und wo konnte ich das im Stammla¬ ger machen, wo ich doch über mir, ein Lagerarzt über mir stand? Da lassen sich doch keine selbständigen Handlun¬ gen durchführen. Waren Sie auch mal bei Selektionen auf der Rampe dabei? Klehr: Nein. War ich nie. Klehr hat sich nicht darauf beschränkt, dem SS-Lagerarzt bei den Selektionen zu assistieren und nur die von jenem zur Tö¬ tung ausgewählten Häftlinge durch Phenolinjektionen zu tö¬ ten. Er hat auch eigenmächtig Häftlinge für den Tod ausgesucht und sie anschließend ebenfalls eigenmächtig durch Phenolin¬ jektionen getötet. Wiederholt kam es vor, daß der ihm Vorge¬ setzte Lagerarzt morgens nicht zur Untersuchung erschien. Er unterrichtete den Häftlingskrankenbau von seiner Abwesen¬ heit. Daraufhin erklärte Klehr, er sei heute Lagerarzt, zog sich einen weißen Arztkittel an und begab sich in das Ambulanz¬ zimmer. Dort führte er dann selbständig Selektionen durch und tötete anschließend mit Phenol. Davon haben Sie nur gehört? Klehr: Da habe ich von gehört. Denn wenn man da ist, wenn man da sechs Jahre, vier Jahre da in Auschwitz rum, dann hört man doch und sieht man doch das, nee? Und ich bin ja manchmal auch vorbeigegangen, wenn ich nach Birkenau rauffuhr, von dem Stammlager nach Birkenau, da mußte ich da bei der Rampe vorbei. Wo ich ja da war, war die Rampe vorn, nicht im Lager in Birkenau. Die neue Rampe war ja im Lager drin. Da ging ja das Gleisan¬ schluß rein. Wo ich in dem Lager war, da war die Rampe vorn, ganz vorne gleich. Und da ist ja klar, daß man das und das und das gehört hat und gesehen hat. Da schwin¬ dele ich doch gar nicht. Was soll ich da schwindeln? 113 Es gibt Leute , die behaupten, in Auschwitz seien nie Juden vergast worden? Klehr: Nie Juden vergast worden? Nicht? Ja, da bin ich auch schon gefragt worden . . . Hier bei uns kommen uns drei so ältere Damen besuchen. Das ist so ein eingetragener Verein. Die wollen uns immer so ein bissei unterstützen, tun uns zum Geburtstag was schen¬ ken und so weiter, und da wurde ich auch von der einen gefragt, ist in Auschwitz, sind Menschen vergast worden? Ich sage, ich werde Ihnen offen und ehrlich sagen, wenn Sie es nicht wären, dann hätte ich gesagt, ich bin über¬ fragt. Aber weil Sie es sind, dann will ich Ihnen genau sagen, daß Leute vergast worden sind. Was wahr ist, muß wahr bleiben. Und derjenige, der behauptet, es sind kei¬ ne Vergasungen . . .ja dann versteh ich nicht, ist der oben plemplem oder links. Ich war ja selbst. . . kann doch nicht schwindeln. Wenn man drei, vier Jahre da in Ausch¬ witz ist und man hat das alles miterlebt, da krieg ich das gar nicht fertig, daß ich da schwindeln würde und sagen, es sind keine Vergasungen durchgeführt worden. Oder ich hätte, genauso wie Sie mich gefragt haben, wie viele Häftlinge da im HKB abgespritzt worden sind. Ich hab Ihnen doch ehrlich gesagt, wie es gewesen ist. Haben Sie manchmal das Gefühl von Schuld für sich persönlich? Klehr: Ja, eine kleine Schuld will ich zugeben. Eine kleine Schuld will ich zugeben, weil ich ja die Sachen machen mußte. Aber auf der anderen Seite muß ich mich aber dagegen wehren. Jeder Mensch hängt doch am Le¬ ben. Wenn ich den Befehl verweigert hätte, dann können Sie sicher sein, das wäre kurz und schmerzlos gemacht, die hätten mich an die Wand gestellt, und da wär ich genauso durch den Kamin gegangen wie die Häftlin¬ ge. Was heißt das , Zählappelle? Mußten da die Kranken an- treten oder gingen sie . . . 114 Klehr: Nein, die blieben im Bett liegen. Das war ja das Traurige. Ich mußte ja manchmal mich auf die Erde legen und sehen, daß nicht einer unterm Bett liegt. Die Zahl mußte doch stimmen. Wenn eine Zahl nicht mehr stimm¬ te und es hat sich einer versteckt - das ist da öfter vorge¬ kommen. Draußen die, die im Lager waren, die mußten antreten. Die stellen zu zehn, Zehnerreihe, da konnten sie leicht zählen, aber ich im Krankenbau, ich mußte mich auf den Bauch legen, und dann mußte ich noch sehen, daß sich einer nicht versteckt hat unterm Bett. Der Zählap¬ pell mußte stimmen. Da hab ich manchmal meinen Ärger gehabt. Da hat sich einer aus Angst versteckt oder hat das gemacht oder ist in die Ecke gemacht, da hab ich erst müssen suchen. Natürlich hab ich ja das nicht allein, ich hab ja dann noch die Häftlinge mit dazugenommen, die Funktionshäftlinge. Alleine konnte ich das ja gar nicht schaffen. Welche Krankheiten waren die Hauptkrankheiten in Auschwitz? Klehr: Ja, wissen Sie, soviel Infektionskrankheiten ha¬ ben wir in Deutschland gar nicht gekannt, die wir im Lager gehabt haben. Wenn wir nicht hätten polnische Häftlingsärzte gehabt, da hätte der Lagerarzt die Dia¬ gnose nicht feststellen können. Wo wir die ersten Fleck¬ fieberanfälle hatten, ja, der Lagerarzt, ja, wo haben wir in Deutschland mal Fleckfieber gehabt? Der hat vom Fleckfieber nichts gewußt. Das hat ein Häftlingsarzt festgestellt. Und so waren verschiedene andere Krank¬ heiten. Der Transport kam von der Ecke, von dem Aus¬ land, der von da, der brachte die Infektionskrankheit mit, der brachte jene mit. Wir hatten so viele Infektions¬ krankheiten da, die kann ich Ihnen gar nicht alle auf¬ zählen. Konnte es auch nicht daran liegen , daß die Häftlinge alle so schwach waren , daß deswegen die Krankheiten so eine große Rolle gespielt haben? 115 Klehr: Ja, die Krankheiten sind ja ins Lager einge¬ schleppt worden. Ja , aber die Häftlinge konnten , weil ihre Gesundheit nicht so gut war , wahrscheinlich dem nicht soviel Widerstand entgegensetzen? Klehr: Ja, das, haben Sie schon recht vom Widerstand. Denn die haben ja, nicht bloß die Häftlinge, wir haben ja während dem Krieg auch Hunger gehabt. Die Ver¬ pflegung war nicht so großzügig. Ich bin manchmal aufs Dorf gefahren und hab mir dort Eier gehamstert, daß ich bloß wieder mal ein bissei was zum Zusetzen hatte. Und die Kost, die war ja draußen, wenn ich auf Urlaub war, meine Angehörigen, ja, die haben ja auch bloß eine Lebensmittelkarte gehabt, wenn die alle war, dann gab’s ja auch nichts mehr. Dann mußten sie aufs Dorf gehen und mußten beim Bauer betteln gehen, daß die bloß ein paar Kartoffeln gekriegt haben. Kartoffeln und Sirup haben sie gegessen, wenn ich manchmal auf Ur¬ laub kam. Und die Kost im Lager für die Häftlinge, die war ja auch nicht so großzügig. Und da war’s ja so, die Funktionshäftlinge, die haben ja noch von den Kranken und von den anderen, schwächeren Häftlingen zum Beispiel, meistens jüdische, da haben sie ja von denen die Ration auch noch weggefressen, daß manchmal der jüdische Häftling nichts oder bloß die Hälfte gekriegt hat. Denn ich konnte mich ja nicht, ich konnte mich ja nicht zum Mittagessen hinstellen und das Essen austei¬ len. Das haben ja alles die Funktionshäftlinge gemacht. Was haben Juden damals für Sie für eine Bedeutung gehabt? Klehr: Ja, wissen Sie, von der Bedeutung. Ich hab kei¬ ne Juden verachtet. Ich hab in meinem Krankenbau so¬ gar Häftlingsärzte, jüdische, angefordert, wo ich im Außenlager war. Das ist beweisbar. Das hat ein Zeuge von, der mit in Gleiwitz war, der hat das bestätigt. Ich hab in den Außenlagern nur jüdische Häftlinge ge- 116 habt . . . Und so war doch, wenn ich dann noch Ver¬ stärkung brauchte, daß mir der Häftlingsarzt da gebet¬ telt hatte, ich soll den und den vom Stammlager mit ins Außenlager holen, da hab ich das versucht und hab ich auch mitgekriegt. Hab ich beim Standortarzt Antrag gemacht, daß ich den Häftling brauchen tu in den Au¬ ßenlagern. Und hab den vom Stammlager mit in die Außenlager gezogen. Haben Sie das damals für richtig gefunden , daß Men - sehen, bloß weil sie einer anderen Rasse zugehörig sind . . . Klehr: Das ... ich muß ja ehrlich sagen, das hab ich nicht für richtig gefunden. Aber ich konnte daran nichts ändern. Ich habe mich manchmal mit den Häftlingsärzten unterhalten, wie man sich hier mit den Aufsehern unter¬ halten kann. Und die haben selbst bestätigt, daß ich mich hab soundsovielmal weggemeldet und ich bin nie und nie weggekommen an die Front. Ich bin immer von dem einen Lager ins schlechtere Lager gekommen, bis ich in Auschwitz gelandet bin. In Dachau mußte ich auf die Station gehen. Da war eine Versuchsstation, da haben die SS wollen feststellen, ob die akademische Therapie bes¬ ser wäre als wie die homöopathische. Da war die Hälfte der Baracke geteilt, die haben die Akademiker versorgt und die andere Hälfte hat ein Homöopath gehabt. Und da hab ich manchmal in die Klinke, die Häftlinge ausge¬ spuckt haben, hab ich manchmal reinigen dürfen, da hab ich keinen Schutzmantel, nichts gehabt und da lagen schwere Fälle, offene Fälle, Tbc-Fälle, kein Schutzman¬ tel, nichts. Ich hatte zwar Uniform, eine Uniform und eine für Sonntag. Und mit der Uniform, mit der ich im Krankenbau Dienst gemacht hab, bin ich mittags zum Mittagessen gegangen in die Kantine und abends in mei¬ ne Unterkunft. Und ich konnte die Dings nicht eher tauschen, als bis sie kaputt war. So sind wir behandelt worden. Mit einem Bein stand man ja schon hinterm Draht und wenn wir etwas dagegen getan hätten, entwe¬ der wären wir da an die Wand gestellt worden oder wir 117 wären auch hintern Draht gekommen. So war das gewe¬ sen. Wir waren dort genauso eine Nummer, weiter waren wir doch auch nichts. Wie war die soziale Situation innerhalb des Krankenbaus? Klehr: Ja, von einer sozialen Dings kann man da nicht sprechen. Da war kein Fall von einer sozialen Versor¬ gung. Was soll da dringewesen sein? Der Häftling hatte doch nichts zu sagen gehabt. Das war doch so. Und wir hatten auch nichts zu sagen. Von Sozialeinrichtung oder hygienischer Einrichtung hat viel, viel, viel gefehlt. Der Krankenbau war da nicht so wie ein Krankenhaus. Ich bin vom Lager vorne reingekommen, da hab ich schon gero¬ chen die Infektionsabteilung. Das hab ich schon im La¬ gertor gerochen. Wenn der Wind ein bissei von da kam. Da lagen dort die ganzen Infektionskranken, mit offenen Beinen, das da die Soße rausgelaufen ist, so halb verfaul¬ tes Bein. Und andere Tbc. Oder andere Krankheiten, Fleckfieber oder andere Sachen, aber da fällt mir heute gar nicht mehr alles ein. Wir haben doch sämtliche Infek¬ tionen gehabt, die haben wir in Deutschland gar nicht gekannt. . . Der Lagerarzt konnte nicht mal die Fleckfie¬ berdiagnose stellen, wo die aufgetreten ist, wenn nicht ein Häftlingsarzt wäre dagewesen. Da war ein polnischer Häftlingsarzt, der hat dann diese Diagnose festgestellt. Denn da kriegen sie doch die erste Zeit, die ersten paar Tage, da kriegen sie so ein paar Pünktele. Wenn man die verpaßt hat, dann kann man sie schlecht feststellen, die Diagnose. Hat das Sterben dieser Menschen , hat das Ihnen was aus¬ gemacht, ist Ihnen das nahe ge gangen? Klehr: Ja, nahe kann einem das ja gar nicht gehen, denn wenn Sie das täglich sehen, dieses, dieses . . . Früh stehen sie auf, und da kotzt Ihnen das schon an, wenn sie früh zum Dienst gehen. Da geht’s da los von früh bis abends. Da kommen sie ja gar nicht zum Nachdenken. Und sie können ja auch nichts ändern dran. 118 Sie haben also im Tod mit dem Tod gelebt? Klehr: So kann man sagen. Denn wenn ich hätte oder ein anderer den Befehl verweigert, der wäre an die Wand gestellt worden und der andere, der nach mir kam, der hätte es wieder weiterma¬ chen müssen. Da war ich auch still. Das ist ja das. Wo konnten wir; wir hätten doch gar nicht den Mund auf ma¬ chen können. Ich könnte Ihnen manche Sachen erzählen. Da hatten wir einen Knochensturm da. Wenn sich ein SS-Mann hat was zuschulden kommen lassen, da kam er in den sogenannten «Knochensturm». Das waren die Bestraften, die was ausgefressen haben. Da ging’s noch viel, viel schlimmer zu als wie im KZ. Was ist das, Knochensturm? Klehr: Knochensturm, ja. Der nannte sich Knochen¬ sturm. Da haben wir so gesprochen davon. Weil’s auf die Knochen ging, daß wir bald zusammengebrochen sind. Das war ein Strafbataillon, und das nannten wir von der SS: Knochensturm. Da kamen die bloß hin, die von der SS verurteilt worden sind. Aber dort ging’s noch viel schlimmer zu. Wer da nicht gesund und munter war, der ist eingegangen da. Das will heute uns keiner abnehmen, daß wir nichts machen können. Wir konnten nichts ma¬ chen. Wenn ich einen Häftling, einen jüdischen Häftling, zuviel unterstützt hätte, ja, dann wär einer gegangen, ein Häftling zum Lagerführer, hier der SDG Klehr, der hat mit dem Häftling, jüdischen Häftling, das und das zuge¬ schossen. Da wär ich schon als Feind Nr. 1 hingestellt worden. Da hätten sie mir ein Schild um den Hals gehan¬ gen, da stand drauf - na, wie haben sie da drauf geschrie¬ ben - Volksfeind oder Feind Nr. 1. Da mußte man beim Appellplatz beim Antreten, wo die Häftlinge waren, da mußte man da mit dem Schild rummarschieren. So was gab’s. Wir waren jetzt bei der sozialen Situation in dem Häftlings - krankenbau. Wir haben auch die Selektionen besprochen, 119 aber das haben wir ziemlich am Anfang des Gesprächs gemacht und da waren Sie noch sehr erregt. Klehr: Sie dürfen sich schon nicht wundern, das ist nicht etwa aus Böswilligkeit, die gehen durch, die Nerven ge¬ hen einem durch. Deswegen möchte ich doch lieber noch mal fragen , weil das so schnell ging , ob Sie nicht noch mal den Vorgang genau schildern können , dessentwegen Sie zu lebensläng¬ lich Zuchthaus verurteilt worden sind? Klehr: Weswegen ich zu lebenslänglich Zuchthaus ver¬ urteilt worden bin? Das hab ich mich schon tausendmal gefragt. Eine Strafe hätte ich angenommen, weil ich das erkennen tu, daß das nicht richtig war, was sie mit den Menschen gemacht haben. Aber eine lebenslängliche Strafe hätte ich nicht erwartet. Die anderen, die mit mir genau dasselbe gemacht haben, die anderen drei SDGs, wissen Sie, was die gesagt haben? Die haben beim Prozeß gesagt, die haben das nur überwacht. Und ich war ehrlich und bin als erster drangekommen bei der Vernehmung zur Sache. Ich hab die Karten auf den Tisch gelegt, das und das hab ich gemacht, Injektionen, auf ausdrücklichen Befehl meines Vorgesetzten, Dr. Entress. Die anderen haben gesagt, die haben das noch überwacht und sind dabei geblieben. Sie sind nach dem Prozeß nach Untersu¬ chungshaft verbüßt, nach Hause gegangen. Und ich hab für meine Ehrlichkeit, daß ich die Wahrheit gesagt hab, ich hab dafür «Himmelblau» gekriegt. Die haben genau dasselbe gemacht, was ich machen mußte. Ich bin auch noch gefragt worden beim Prozeß, ob die genau dasselbe gemacht haben wie ich. Ich konnte gar nicht so gemein sein, weil ich ja abgelöst war, ich wollte den ja nicht belasten, da hab ich gesagt, ich bin von der Dienststelle abgelöst worden, und ich hab mich dann auch nie mehr gekümmert, und ich wußte nicht, was die da gemacht haben. Aber ich wußte, daß die dasselbe gemacht haben, aber ich konnte so schmutzig gar nicht sein, daß ich die belastet hätte. 120 Es ist sehr schwierig, das zu beantworten. Wie war die Atmosphäre dieses Lagers , des Stammlagers Auschwitz? War das wie in einer Kaserne? Wie haben Sie sich da gefühlt? Klehr: Ja, als eine Kaserne kann man es nicht bezeich¬ nen. Das war, wie soll ich sagen, na, ich find gar keinen richtigen Ausdruck. Weil das ja alles übertrieben war. Man war ja, wir waren keine Menschen für die SS-Füh- rung, genauso wie die Häftlinge nicht. Wie die Häftlinge nicht für Sie? Klehr: Ja, da kriegten wir Druck, da mußten wir wieder etwas Druck den Häftlingen geben. Wenn man da zu weich war, da haben sie ja einen in den Bunker gesteckt. Und das war, das geht doch auf die Nerven, wenn man täglich früh aufsteht und man denkt dran, ach, jetzt geht dieselbe Leier wieder los. Die Häftlingsärzte, die kran¬ ken Leute werden vorgeführt und dann müssen sie sehen, wie sie nicht mehr laufen können und dann abgemagert sind, daß die Rippen schon so weit rauskommen. Das geht doch aufs Gemüt und auf die Nerven. Da mußte man schlucken und wieder schlucken. Was schlucken? Klehr: Ja, runterschlucken, daß man das wieder weg¬ kriegt. Man konnte ja nicht helfen, wie sollte man denn helfen können? Sie hatten doch auch keine Möglichkeit, den Häftlingen zu helfen. Und daß man manchmal ein bissei forsch zu den Häftlingen war, ja, das hat alles mit sich gebracht, weil man ja auch von oben Druck gekriegt hat. Und so glauben sie, wie sie sagten, ich war so sehr aufgeregt. Ja, das ist manchmal auch einem die Nerven durchgegangen, daß man dann ein bissei forscher war mit den Häftlingen. Aber das alles hat die allgemeine Lage so mit sich gebracht, in der man steckte. Man konnte ja aus der Haut nicht raus. Ich konnte natürlich zum Lagerarzt sagen, jetzt machen sie ihren Scheiß alleine, ich hab die Nase voll. Aber, sehen Sie, ich kann das nicht. Die haben gar nicht gefragt, ob er’s kann, sie müssen das. Das ist ja 121 das, was man nicht verstehen kann. Der das nicht selbst miterlebt hat am eigenen Leibe, kann sich überhaupt gar keinen Begriff machen, wie schwer das war, eine seeli¬ sche und nervliche Belastung, diesen Lagerdienst zu ma¬ chen. Da mußte man schon Nerven haben wie Kuh¬ schwänze und da werden sie auch noch schwach dabei. Aber es hat doch einige, sogar eine ganze Reihe von 55- Leuten, von Aufsehern, gegeben, das kann man wohl sa¬ gen, die dabei auch Lust und Freude gehabt haben bei dieser Arbeit, die die Juden und die Häftlinge überhaupt nicht als normale Menschen angesehen haben, sondern als Menschen zweiter Klasse? Klehr: Das geb ich zu. Das geb ich zu, daß welche da waren, so ein paar. Ich könnte zum Beispiel Ihnen sagen von dem Lagerführer von Gleiwitz. Der war Hauptschar¬ führer, ja, das war ein ganz brutaler Mensch. Das hab ich Ihnen ja schon gesagt, daß wenn da ein Häftling sich krank gemeldet hatte, da war der dagegen, hat dann mich getreten, ich muß den Häftling nach Auschwitz schicken, aussondern. Herr Klehr, es hat aber doch im Lager Auschwitz viele, eine ganze Reihe von SS-Leuten gegeben, die diesen Dienst gern gemacht haben. Klehr: Was für Dienst? Die den Dienst dort gern gemacht haben. Klehr: Ach, wissen Sie, gern ist übertrieben, das will ich nicht sagen. Aber die haben sich da besser, waren solche Rabauken, waren solche drunter. Ich könnte nicht sagen, daß sie es gerne gemacht haben, aber die sind da haben sich wohler gefühlt, konnten so ein bissei angeben und ein bissei rumkommandieren usw. Aber daß sie es direkt gerne gemacht haben, das . . . Aber das einzelne Menschenleben ist doch vielen dann nichts mehr wert gewesen? 122 Klehr: Ja, das stimmt. Da hat es welche gegeben, die das gemacht haben. Das streite ich nicht ab. Die sind in dem Milieu da aufgewachsen und haben sich da wohl gefühlt drin. Das waren ja schon alte SS-Männer, die waren ja schon vor dem Krieg in den Lagern gewesen. Wir Reser¬ visten sind ja bloß zum Teil eingelegt dagewesen. Ich möchte zum Abschluß noch mal zu dem Punkt kom¬ men, der ja auch bei Ihnen am schwersten ist, darüber zu sprechen, zu dem Punkt der Injektionen. Wenn die Häft¬ linge ausgesucht waren zu sterben, im Häftlings kranken¬ bau, wie ging das dann weiter? Sie waren also selektiert vom Arzt? Klehr: Waren selektiert vom Arzt und wurden dann sonderbehandelt. Das war dann die Injektion. Gab es dafür einen extra Raum? Klehr: Ja, es gab einen extra Raum. Ich hab Ihnen gesagt, die wurden da drüben Block 28 von dem Lager¬ arzt ausgesondert und kamen dann auf Block 20 rüber. Und dort standen sie dann Schlange, oder? Klehr: Nein, nein, dort kommen sie wieder in ein Zim¬ mer und mußten dann warten, bis die Injektion losging. Man mußte ja warten, bis der Lagerarzt weg war, und dann konnte ich ja erst die Selektion durchführen. Denn solange der da war, da mußte ich ja um den da rum¬ schwänzeln. Schließlich hat er mir noch was aufzutragen oder hat mir was zu sagen, da mußte ich ja so lange bei dem Lagerarzt bleiben, bis er weg war. Denn der kam ja bloß früh ungefähr so, im Sommer, um halb acht oder um acht, und dann hat er seine Dings gemacht, seine Vorstel¬ lung und, was hat er gemacht? Die Totenmeldungen un¬ terschrieben und die Anforderungen, die für Medika¬ mente, und dann ging er schon um zehn, halb elf, ging er wieder in seine Unterkunft. 123 t Und Sie , was machten Sie dann? Klehr: Ich mußte warten, bis die Essen geholt waren und dann konnte ich auch zum Essen gehen, in die Kantine. Die Injektionen , fand das direkt im Anschluß an die Selek¬ tion statt , oder? Klehr: Im Anschluß an die Selektion. Wieviel Zeit war dazwischen? Klehr: Ja, der Lagerarzt ging immer so um zehn, halb elf, ging er weg, und da konnte ich erst dann die Injektionen machen. Und wie ging das? Welche Art von Injektionen wurden da gemacht? Klehr: Ja, Phenol-Injektionen. Klehr hat in einer unbestimmten Anzahl von Fällen teils selbst das Zyklon B in die Gaskammer hineingeschüttet, teils das Einschütten durch andere SS-Männer überwacht. In minde¬ stens einem Fall hat er selbst das Zyklon B durch die Einfüllö- cher vom Dach des kleinen Krematoriums in die Gaskammer hineingeschüttet, nachdem jüdische Menschen, die mit einem Reichssicherheitshauptamt-Transport kamen, dort einge¬ schlossen worden waren. In diesem Fall sind mindestens fünfzig jüdische Menschen ohne Gerichtsurteil, nur wegen ihrer Ab¬ stammung als Angehörige einer - wie es in der NS-Sprache hieß - «minderwertigen Rasse» getötet worden. Phenol? Was ist Phenol? Klehr: Phenol ist so eine Sache, das nimmt man auch, aber in großer Verdünnung, zum Ohrenausputzen nimmt man das auch. Und diese Sache, auf Phenol, das hat, wie ich vorhin schon gesagt hab, das hat ein ehemaliger La¬ gerführer, Fritsche war es, glaub ich, der hat das mit dem Phenol angefangen. Und da haben sie probiert, und das war der Block 11, wo sie das erste Mal mit Phenol Dings 124 probiert haben, mit Phenol nicht, mit dem Gas probiert haben. Die haben ja verschieden ... ich war ja bloß, wo ich von Häftlingen gehört habe, da haben sie ja, die Lagerärzte, verschieden probiert. Die haben mit Luft rein probiert, die haben mit Benzin probiert, und die haben mit das probiert. Die haben ja allerhand Experi¬ mente gemacht da, ehe sie erst sind auf das Phenol ge¬ kommen. Vorher haben sie das so und auch mit anderen Sachen gemacht. Aber da war ich . . . das hab ich bloß von den Häftlingen vom Erzählen. Ja, wie war das nun: Dann kamen die Häftlinge in den Raum hinein, und Sie standen da mit der Spritze? Klehr: Ich war in dem Raum, und die Häftlinge haben sie reingeführt rechts und links, der konnte ja nicht mehr laufen, manche mußten mit der Bahre reingetragen wer¬ den, und dann hatte ich noch einen Häftling, der machte die Spritze zurecht, und dann hab ich eben die Injektion durchgeführt. Und direkt ins Herz? Klehr: Direkt ins Herz. Und waren alle Häftlinge sofort tot? Klehr: Die waren sofort tot. Ich hab Ihnen ja vorhin schon gesagt, es waren bloß zwei Kubik, die gespritzt worden sind. Da hat man die Spritze noch nicht ausge¬ spritzt gehabt, ist der schon tot gewesen. Dieser Tod war ja noch nicht so grausam wie die Vergasung. Das war ein grausamer Tod. Das ging da so wie in einem Bienenka¬ sten. Die kamen in den Vergasungsraum rein, und wenn der Lagerarzt soweit fertig war, dann hat er oben dem SS den Befehl gegeben, dann hat der in den Kamin das Gas reingeschüttet und da ging’s «mmmmm». Und der Ton wird immer leiser, bis er dann gar nicht mehr da ist. Das war ein grausamer Tod. Das geht doch auf die Luftorga¬ ne, dieses Gas. 125 Aber Sie mußten doch den Menschen ins Gesicht schauen? Klehr: Ja, bei der Injektion? Ja, was sollte ich denn machen? Jetzt frag ich Sie mal, was soll ich denn machen? Nein, weil Sie sagten , das sei grausamer gewesen im Gas . Es ist doch ein anonymer Tod gewesen in der Gaskammer , während . . . Klehr: Ja, wann ich das gesehen hab, wo die Leichen sind rausgegangen, die waren grün und blau waren die gewe¬ sen. Und es hat länger gedauert als wie die Injektion. Bei Injektion, da war die Spritze ja noch nicht einmal ausge¬ spritzt, ist er schon zusammengefallen. Dagegen bei der Vergasung hat das mindestens zehn Minuten hat das Gesumme angehalten. Das ist dann immer schwächer geworden. Das meine ich, daß das grausamer war, die Vergasung. Die ganze Sache war sowieso grausam, ob das die Injektion war oder es war das, aber ich meine bloß, der Unterschied, daß das nicht so schwer war. Deshalb hab ich mir dazumal Gedanken gemacht. Ich hab sie doch beobachtet, die Häftlinge, die haben doch nicht weder geweigert oder hätten geweint, das war doch ein offenes Geheimnis, wenn die da sind ausgesondert worden, daß sie zum Tod geführt wurden. Das wußten sie. Deshalb konnte ich mir immer nicht feststellen, daß der nicht mal geweint hat, der Häftling. Da hab ich mal rüber, ich kann das gar nicht ausdrücken, ich kann das nur so ungefähr sagen, als wenn die schon direkt gedacht haben, Gott sei Dank, jetzt bin ich erlöst. So ungefähr möchte ich das gesagt haben. Hat niemals Sie jemand angefleht, angebettelt? Klehr: Nein, niemals. Das ist ja das, was ich mir Gedan¬ ken drüber gemacht hab. Die hätten doch können mal sagen, Oberscharführer, ach, lassen sie mich doch leben, oder - keinen Ton. Kein Ton ist gefallen. Und das war ja das Schwerste .. . 126 Aber genutzt hätte Ihnen das auch nichts , wenn sie das getan hätten? Klehr: Ja, wissen Sie, genutzt hätt ich das können, wenn ich hätte sicher können sein, daß mich keine Häftlinge hätten hochgehen lassen. Denn da waren doch zwei Häft¬ linge dabei, die die Häftlinge reingebracht haben, dann waren zwei dabei, die die Häftlinge, die Leichen, rausge¬ schafft haben, und dann war der eine Häftling noch dabei, der die Spritze gemacht hat. Das waren also praktisch fünf Häftlinge. Und wenn die hätt ich, die etwas mal auf die Zehen getreten oder so was, dann hätten die doch den Mund aufgemacht und hätten gesagt, hier, der hat den jüdischen Häftling nicht abgespritzt. Das wär doch übrig¬ geblieben. Was sollt ich denn melden? Die Toten hat sich doch, hat doch der Lagerarzt aufgeschrieben, die, die abgespritzt waren, die Nummer Soundso, und die mußte ja auf der Totenmeldung wieder da sein. Ich konnte ja den Häftling nicht wegbringen. Wegbringen, wie soll ich den wegbringen? Wenn ich denen hätte helfen können, hätten sie’s können machen . . . Aber wo ich ja soundso viele Häftlinge noch mit dabei hatte, da war ich nicht ganz sicher, daß die mich jetzt da . . . Ja, und da hätte ich mich auf den Stuhl setzen müssen. Dann wär ich dran. So war das dazumal, die Lage. Man konnte den Häftlingen nicht helfen, wenn man auch noch so gut gedacht hat. Ich hab Ihnen ja gesagt, ich hab die Häftlinge unterstützt, wo ich nur konnte. Ich hab die Häftlingsärzte, jüdische, alle mit mir mitgenommen, wo ich bin abkommandiert worden ins Außenlager Gleiwitz, da hab ich mal Häftlingsärzte mitgenommen, Häftlingspfleger mitgenommen, ich hatte keinen deutschen oder polnischen, ich hatte alles Häftlin¬ ge, jüdische Häftlinge als Pflegepersonal oder als Ärzte. Und das war das einzige, was ich helfen konnte und wenn ich wieder einen Pfleger brauchte oder einen Arzt brauchte, und es hat mich ein Häftling gebettelt, ach, Oberscharführer, holen Sie doch den hier mit nach Glei¬ witz, nun, dann hab ich mir bemüht, beim Standortarzt den Häftling anzufordern, und dann hab ich ihn auch 127 gekriegt. Aber ich konnte ja nicht mehr Häftlinge anfor¬ dern als wie ich brauchte. So war das. Und das war das, was ich helfen konnte, aber anders konnte ich nie helfen. Was sollte ich machen? Da war da nichts drin. Haben Sie etwas , was Sie von sich aus noch sagen möchten? Klehr: Ja, wissen Sie, was ich von mir aus sagen möchte? Ich möchte sagen, daß dem Gericht müßte man Bescheid sagen, was mit den falschen Aussagen bei unserem Pro¬ zeß vorgefallen ist. Ich kann das nicht verstehen, daß man so verschaukelt wird, das kann ich nicht verstehen! Gerhard Mauz Wo der Sohn den Vater ertränken muß Seit dem 3. April 1964 tagt das Schwurgericht im Bürger¬ haus Gallus in der Frankenallee. Begonnen hatte man am 20. Dezember 1963 im Römer: Den Prozeß, der jedes Fassungsvermögen sprengt, faßte kein Raum der Justiz. Das Gericht, Protokollführer, Aktenverwalter, Anklage, Angeklagte, Verteidiger, Justizbeamte, Polizei, Presse, Publikum - und für alle, deren Ausfall während der auf ein Jahr geschätzten Verhandlungsdauer den Prozeß ge¬ fährden könnte, vielfacher Ersatz. 32 Tage lang verhandelte das Gericht im Römer, an renovierter historischer Stätte, im gepflegten Saal der Stadtverordneten. Jetzt, im Gallus-Haus, zwei Treppen hoch, versammelt man sich in einer Halle, die für frohen oder gemeinnützigen bürgerlichen Betrieb bestimmt ist. Die Ausbauten haben den gefälligen, vielfach zu nutzen¬ den Rahmen leidlich dem Ernst der Verhandlung ange¬ paßt. Auf der Bühne das Gericht. Hinter ihm ein 20 Jahre alter Angestellter der Firma Radio-Bank am Pult; er steuert die Mikrofone. Der junge Mann sitzt noch über dem Gericht, als solle er versinnbildlichen, wieviel Appa¬ ratur notwendig war und ist zur Vorbereitung und Füh¬ rung dieser Sitzung. An den Längsseiten des Saals: die Angeklagten und ihre 18 Verteidiger; die Anklage und die Nebenkläger. In der Rhein-Main-Metropole wird verhandelt, in ei¬ ner Stadt, in der das Leben Tag für Tag wie in einer Pfanne brutzelt. Draußen gehen die Jahreszeiten vorbei, die Feiertage und Feste. Während des Karnevals ist nicht verhandelt worden; aber wie soll das Gericht allem Wi- 129 dersprechenden draußen begegnen, gerade hier, in der Stadt zwischen Norden und Süden, in der Stadt der Kon¬ gresse, Tagungen, Messen, Ausstellungen? Das Leben, das weiter geht, sickert in den Saal. Ne¬ benan in der Günderrode-Schule klingelt es zur Pause, die Kinder kreischen, lachen. Gegenüber dem Gallus- Haus werden Volvos gewartet. Motoren röhren. «Der hat einen Abarth-Auspuff», murrt der Kollege, während ein Zeuge seinen Peiniger wiedererkennt. Der Bürgerfrieden nistet in den Schaukästen, an denen entlang es in das Gallus-Haus geht. «Reden ist Silber», kündet ein Plakat. Was Gold ist, drückt eine Sektflasche vielfarbig aus. Doch an der Gastronomie im Erdgeschoß vorbei («Ab 18 Uhr Frankfurter Spezialitäten»), zwei Treppen hoch im Saal: Da ist für die Mehrheit der Ange¬ klagten Schweigen Gold. Und unter ihrem Schweigen glimmt die Frage, warum nicht auch für sie das Leben weitergeht. Sie hier drinnen waren damals in Auschwitz. Aber die Mehrheit, drinnen und draußen, lebte damals im «Reich», von der Atlantikküste bis zu den Karpaten. 64 Tage ist der Prozeß nun alt. Um die persönliche Schuld von 21 Angeklagten - nur noch neun sind auf freiem Fuß, zwölf sind in Haft - geht es. Mord oder Beihilfe zum Mord in bestimmten Fällen und in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen wird ihnen vorgeworfen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in seinem Wort zu denNS-Verbrecherprozessenam 13. März 1963 gesagt: « Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, mit diesen Verfahren so etwas wie die Reinigung unseres ganzen Volkes zu vollzie¬ hen; sie können nur einzelne Verbrecher zur Verantwor¬ tung ziehen und aburteilen.» Der Rat der Kirche sagte aber weiter: «Auch der Bür¬ ger, der an den Verbrechen nicht beteiligt war, ja, nichts von ihnen wußte, ist mitschuldig geworden, weil er lässig war gegen die Verkehrung aller sittlichen Maßstäbe und Rechtsnormen in unserem Volk.» Und endlich heißt es: «Vielmehr ist uns geboten, uns mit den jetzt Angeklagten vor Gott und sein Gericht rufen zu lassen.» 130 Für die Angeklagten steht das Leben still. Für die mit ihnen Gerufenen geht es derart hurtig und gedrängt wei¬ ter, daß einmal das Verfahren gegen einen Angeklagten abgetrennt werden muß, weil seine Anwälte nicht er¬ schienen sind. Wenig später kann das Verfahren wieder angeschlossen werden: Die Verteidiger waren nur im Verkehr steckengeblieben. Frankfurt ist die Schädelstätte der Bundesrepublik und der Deutschen, und es ist sinnvoll, daß gerade in dieser prallen Stadt die Millionen auferstehen, die in Auschwitz ermordet wurden. Hier wird das Leben, das weitergehen soll, an jene Toten erinnert, ohne die es nicht weitergehen wird. Die Plätze für das Publikum sind fast immer besetzt, aber es stehen nur wenige Plätze zur Verfügung. Presse und Rundfunk berichten den Lebenden von den Toten. «Ein Tag im Auschwitz-Prozeß», ist die gängigste Über¬ schrift. Wer nicht täglich melden kann, gibt ab und an einen Ausschnitt. Pharisäerplustern und billige Wallun¬ gen unterlaufen dabei. Im Römer mißfiel einem etwa, daß «heftig» geheiratet wird; daß sich rückseitig auf dem Hochzeitsbild - auf dem Vertiko steht es, natürlich - dereinst kein Vermerk finden werde, an jenem Tag habe zwei Treppen höher im Auschwitz-Prozeß ein Zeuge be¬ schworen, nach seinem Wissen seien im Lager 29 bis drei Millionen Menschen ermordet worden. Auf den Berichten von den Verhandlungstagen lastet, was die Neue Zürcher ZeitungiormuMerV. «Die Variatio¬ nen des Schreckens lassen sich nach den Enthüllungen dieser Prozesse zwar scheinbar unbeschränkt vervielfälti¬ gen; dem menschlichen Fassungsvermögen aber ist eine obere Grenze gesetzt, jenseits welcher sich das Mitgefühl rasch in Stumpfheit und Resignation verwandelt.» Die Meldungen sind kein «Pflichtpensum» der deut¬ schen Presse, sie will das Gallus-Haus mitten in Deutsch¬ land sichtbar machen. Doch die journalistische, redaktio¬ nelle Aufgabe ist gleichfalls ohne Beispiel vor diesem beispiellosen Prozeß. 64-, am Ende wohl über 131 lOOmal: Das Inferno in der Rubrik «Neuestes vom Tage» . . . Das Ausland kommt zum Prozeß aus vielen Gründen, nicht zuletzt, um die Hand an den Puls der Deutschen zu legen. Ein amerikanischer Senator etwa, der Schriftstel¬ ler Arthur Miller, der Historiker Trevor-Roper aus Eng¬ land, Beobachter aus Israel, Polen, der Tschechoslowa¬ kei. Viele sind nur kurz im Saal. Und oft schließen sie kurz, wenn sie wieder daheim sind. Auch sie waren nun «Einen Tag im Auschwitz-Prozeß», und da müssen sie denn schon Rätsel mitnehmen. Rätsel eins: Die Angeklagten. Sind sie überhaupt Menschen? Einer hat, wie ausgesagt wird, einem Sohn befohlen, den Vater zu ertränken. Der tat es und wur¬ de darüber wahnsinnig. Da erschoß ihn der Angeklag¬ te. Ein Angeklagter war Erfinder. Er baute die Maschine, die jeden zum Sprechen und viele zu Tode brachte. Der Zeuge Paul Scheidei, heute 67 Jahre alt, hat ein Modell dieser «Sprechmaschine» (nach dem Erfinder auch «Bo- ger-Schaukel» genannt) mitgebracht. Wie ein Reck für Puppen steht es vor dem Gericht, aber die Puppe ist um die Stange gefesselt. Der Zeuge zeigt mit einem Knüppel, wohin die Schläge fielen: zwischen die Beine. Der Ange¬ klagte sitzt halbrechts hinter dem Zeugen. Um seine Mundwinkel biegt sich ein Lächeln. Ein Angeklagter sollte das Totenbuch verbrennen. Er tat es nicht. Jetzt sagt er: «Und nun stehe ich hier und muß mir das Buch Vorhalten lassen.» In dem Buch steht die Unterschrift des Angeklagten unter den «Überstellungen» vom Arbeitslager in das Vernich¬ tungslager. Rätselhaft ist das nicht. Nicht für den, der vom «Hitler in uns selbst» weiß. Nicht für den, der weiß, daß überall und zu jeder Stunde Menschen feige, opportunistisch, rücksichtslos (wo sie sich gedeckt fühlen) und voll Schwä¬ che gegenüber der Erinnerung an die eigene Tat sind. Die Angeklagten sind Menschen. 132 Die Kurz-Besucher allerdings schütteln die Köpfe und kommen von den rätselhaften Angeklagten ohne Um¬ stände zu «den Deutschen», zu Rätsel zwei. «Nach dem Kriege jedoch erhielt dieser Mann in ei¬ nem Krankenhaus die Stellung eines Pflegers, und seine Patienten beteuerten in Briefen an das Gericht, er sei ein außergewöhnlich behutsamer Helfer, ein besonders warmherziger Mensch gewesen. nannten sie ihn.» So Arthur Miller in der New York Herald Tribüne. Doch dieser Blick von der Brücke war mager. Kaduk wurde 1947 von der sowjetischen Besatzungsmacht zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. 1956 entließ man ihn aus dem Zuchthaus Bautzen. Er kam «in Willy Brandts West-Berlin» (so auch ein Journalist der Bundesrepublik vorwurfsvoll) mit einem Papier, demzufolge er wegen «Osteinsatz» verurteilt worden war. So konnte er sich als Krankenpfleger betätigen. Neun Jahre Bautzen: Sie könnten, unter anderem, erklären, warum Kaduk ein «warmherziger» Kranken¬ pfleger war. Wer ihm das durch einen Brief an das Ge¬ richt bestätigt, trägt er nicht dazu bei, eine Deutung die¬ ses Lebenslaufs möglich zu machen, der so voll von Mord ist, daß er eigentlich nichts anderes als Mord enthalten dürfte? «Papa Kaduk» ist schon Stoff zum Nachdenken, zur Besinnung. Er bekommt einen Wutanfall vor Gericht, als ihn ein Zeuge belastet. Nach neun Jahren Bautzen, nach jahrelanger Untersuchungshaft in der Einzelzelle nicht ungewöhnlich. Auch Mörder können leiden. Kaduk soll im Lager eine Frau vergewaltigt haben. Er protestiert aufgeregt: «Da wäre ich sofort gemeldet worden.» Si¬ cher, es wurde in Auschwitz auf jede erdenkliche Art gemordet. Wer aber mit einer Häftlingsfrau ertappt wur¬ de, den führten die Kameraden mit gezogener Pistole ab. Zulässiges und Unzulässiges wurde in der Lagerwelt, in der Kaduk mordete, nach Regeln bestimmt, vor denen andere als der Schläger Kaduk kapitulierten. 133 In Bautzen warnte man Kaduk bei der Entlassung, sowjetische Urteile würden in der Bundesrepublik nicht anerkannt. Kaduk: «Ich habe mich für den Westen ent¬ schieden.» Kaduk bereut heute seine Entscheidung. Und plötzlich bietet Kaduk eine Erklärung, die nicht nur ihn betrifft. «In Bautzen sind über 25 von meinen Kamera¬ den gefallen.» Kaduk fühlt sich in der Internationale der Opfer, er meint in der Kameradschaft der Verfolgten zu stehen. Erbittert weiß er zwar: «Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.» Doch gerade das kränkt ihn, und da wäre denn wirklich einmal von den Deutschen nach 1945 zu reden. Und da werden, darüber hinaus, auch jene Rechenkünste offenbar, mit denen Menschen seit eh und je eigene Schuld amnestieren möchten, auf dem Verrech¬ nungsweg. Kaduk, so primitiv er ist, führt den Faden vor, der die Opfer der Lager mit den durch Luftangriffe Getöteten verbinden soll. Es tun, so meint er, doch immer alle dasselbe, Schuld ist gleich Schuld. Ein anderer Angeklag¬ ter, der hochintelligente Dr. Capesius, Lagerapotheker in Auschwitz, der kommt an diesem Faden entlang denn auch dazu, Berichten über den Ernährungszustand der Häftlinge entgegenzuhalten, daß er in amerikanischer Haft nach 1945 vierzig Pfund verloren hat. Rätsel, Quelle des Zorns Nummer drei: Die Verhand¬ lungsführung in Frankfurt. Madame Alcan, aus Frank¬ reich, schon am dritten Tag, eine von vielen: «Die ganze Atmosphäre dieses Gerichts wirkt empörend auf mich . . . Der Ton von damals liegt einem noch in den Ohren. Nun war die Art, wie damals mit angeklagten Gegnern des NS-Regimes verfahren wurde, nicht die eines Rechtsstaates. Dieser joviale Umgangston aber . . . ist mir einfach unverständlich . . . Die Geduld, die das Gericht gegenüber den ständigen Störungsversuchen ei¬ niger Verteidiger ... an den Tag legt, wirkt manchmal direkt aufreizend.» Das Gericht, drei Richter und als Geschworene drei Hausfrauen, zwei Arbeiter, ein Angestellter: Die hörten, 134 was die Angeklagten zur Person, zur Sache sagen wollten. Sie hörten und werden hören: Sachverständige, Doku¬ mente. «Führerbefehle waren nicht rechtsverbindlich», sagt dem Gericht der Zeitgeschichtler Dr. Hans Buch¬ heim, einen Befehlsnotstand bei den NS-Massenverbre- chen bestreitet er, «normative Befehle» hätten nicht Vor¬ gelegen. Eine Meinung, die «sachverständig» sein mag, die aber doch nicht zu den Angeklagten führt. Ihre Schuld oder Unschuld, das Lager und der Tod von Millio¬ nen müssen aus den Zeugenaussagen erkannt werden. Da sind klare, unmißverständliche Aussagen in Fülle. Der Schriftsteller aus Wien, der Professor aus Polen, der Arzt und die Ärztin aus Österreich zum Beispiel: Ihre Worte kommen aus einer inneren Stille, die der zum Erleben Begabte in der Hölle gewinnen konnte. Anderen war es nur gegeben zu leiden, zu überleben. Die Regeln für die Prüfung von Aussagen sind streng, der Wert des Menschen als Zeuge ist gering, die Ge¬ schichte der Fehlurteile lehrt es. Doch wie an diese Zeu¬ gen das strenge Maß legen? Und es gibt so viele Gründe für die Widersprüche, die wie Unkraut aufkommen. Ein Angeklagter soll Weihnachten 1942 im Kranken¬ bau «selektiert», «abgespritzt» haben. Der Zeuge Her¬ mann Reineck, heute 45 Jahre alt, erinnert sich. Der Angeklagte protestiert: Er sei bereits im Herbst 1942 abgelöst worden. Doch Reineck hat eine Gedächtnisstüt¬ ze. Er hatte damals eine Meldung im Krankenbau abzu¬ liefern, als er plötzlich vom Gang aus in ein Zimmer sah, dessen Tür offenstand. Da sah er den Angeklagten, eine Spritze in der Hand. Neben ihm auf dem Boden die nackten Körper toter Häftlinge. Der Angeklagte brüllte: «Schau, daß du rauskommst, sonst kommst du auch gleich mit.» Der Zeuge weint, er muß seine Aussage unterbrechen. Kann er sich irren über einen Augenblick, in dem er buchstäblich dem Tod gegenüberstand? Doch gerade um Ereignisse an den Weihnachtstagen kommt es immer wieder zu Unklarheiten. Wie soll ein 135 Angeklagter zu Weihnachten gemordet haben, wo doch die Familienväter zum Fest Urlaub bekamen, nachweisen läßt sich das! Für die unter den Gewehrläufen, dem Gas, der Schlinge und der Injektionsspritze war ein Heiliger Abend wie die anderen: Ein Abend, an dem viele die Kraft verließ, an dem sie sich aufgaben und in den gelade¬ nen Draht rannten oder in die Maschinengewehrgarben der Wächter. Und kein Mensch begegnet allen Menschen in gleicher Weise. Ein Angeklagter soll nicht nur Desinfektor gegen Seuchen gewesen sein, sondern auch gegen Menschen. Zyklon B: Als mehrere hundert russische Kriegsgefange¬ ne als «Versuchskaninchen» ins Gas geschickt wurden, soll er dabeigewesen sein. Der Zeuge Jozef Seweryn je¬ doch, heute 46 Jahre alt, sagt über diesen Angeklagten: «Der Angeklagte war anständig. Es tut mir leid, daß wir heute hier so sitzen und uns Vorwürfe machen und daß wir nicht Freunde sind, so wie dieser Angeklagte.» Daß einer für einen ein Teufel, für einen anderen ein Engel sein kann, das geht auch unter den Überlebenden quälend um. Der Angeklagte Dr. Lucas soll sich mensch¬ lich verhalten haben. Nebenkläger Ormond, er vertritt 15 Überlebende, weist auf Bücher hin, in denen Lucas ge¬ rühmt wird, Ormond will dem Verfahren dienen, eine Scholle Land in einem Ozean von Schuld zeigen. Zeugen bieten sich für Lucas an, selbst aus Australien. Briefe erreichen das Gericht, auch einer von Frau Sarah Roth¬ schild, die heute in Bad Nauheim lebt. Aber da fährt eine Journalistin hoch, die auch davonkam: «Frau Sarah Rothschild, wie kann sie nur? 24 Stunden konnten sie nicht morden. Da wird schon immer wieder einmal einer nett gewesen sein.» Das Gericht hört auch den Zeugen Josef Kral, heute 54 Jahre alt, er schildert das Hungern und Sterben in den Bunkerzellen. Nach dem 13. Tag: «Sie lagen am Boden, sie stöhnten, würgten, versuchten um Hilfe zu rufen, aber die Worte kamen nicht mehr heraus.» Ein derart Ermor¬ deter hatte Schuhe ohne Sohlen an den Füßen, als seine 136 Leiche hervorgezerrt wurde. «Vielleicht hat er sie gefres¬ sen», meinte ein SS-Mann und irrte sich nicht. Kral: «Als ich noch klein war, da sagten wir im Spaß: Wir wußten damals nicht, daß man Schuhe wirklich essen kann.» Ein Augenblick der Wahrheit im Saal. Wie da einer, fast zu sich selbst sprechend, einen Bogen von den Scher¬ zen der Kindheit schlägt zu der Erfahrung, wozu Schuhe auch nütze sein mußten, als er ein Stück weiter ins Leben hineingeraten war . . . Aber dann wird der Zeuge Kral von zwei Zeugen der Verteidigung beschuldigt, den Tod der ukrainischen Brü¬ der Bandera in Auschwitz auf dem Gewissen zu haben. Der Zeuge widerspricht, findet später Unterstützung bei anderen Zeugen. Doch eine Wolke ist über den Augen¬ blick der Wahrheit gezogen. Die Verteidiger müssen die Aussagen prüfen. «Sie sagen - kommt es an.» Das «Wie»: Es ist in dieser und um diese Verhandlung das Wort, vor dem die Beteiligten, die deutsche Öffent¬ lichkeit und die Welt empört, ratlos, störrisch oder voll Scham stehen. Es ist das Wort, an dem sich vernichtende Urteile über «die Deutschen», über die deutsche Justiz, über die Aufrichtigkeit des Bemühens um Sühne ent¬ zünden. 137 Aber es gibt gegenüber diesem Prozeß kein Verhalten der deutschen Öffentlichkeit, das angemessen wäre. Ver¬ suche bedeuten viel, werden unternommen. Da werden etwa die Zeugen, die nach Frankfurt kommen, betreut, finden Menschen, die sich ihrer annehmen. Die Stadt Frankfurt überreicht eine Mappe, Informationsmaterial, einen Brief des Bürgermeisters. Und der Gabe ist auch die Frage beigefügt, ob der Besuch einer Theatervorstel¬ lung erwünscht sei. Vor der Zahl der Toten, vor dem Sterben, das dieser Prozeß offenbart, bekommt jede Bewegung etwas Ge¬ schäftiges, Ablaß-Heischendes. Wer im Saal ist, hat über¬ lebt . . . Und das Notieren, Zählen und Erwähnen der Bemühungen, das Schürfen nach Regungen, Reaktionen, es macht Millionen Tote zum Gegenstand billiger Re¬ cherchen, als gäbe es Meinung, wo die Seelen aufgerissen werden. «Wie» - das steht auch vor dem Vorsitzenden. Die Prozeßordnung beachten, das rechtsstaatliche Verfahren sauberhalten und damit Ehrfurcht vor den Opfern eines Unrechtsstaates ausdrücken: Die einzige, aber auch eine mißverständliche Möglichkeit. Landgerichtsdirektor Hans Hofmeyer ist ein Jahrzehnt in Zivilsachen tätig gewesen. Er belegt die unter Juristen verbreitete These, nach der sich gerade im Zivilprozeß der Richter formt. Hofmeyer verteidigt die Prozeßordnung, aber er läßt auch nicht zu, daß sie als Freibrief mißbraucht wird. Hofmeyer verweigert den Angeklagten die Anrede «Herr» nicht, lachen sie aber zur Unzeit, so fährt er sie hart an. Seine Vorhalte sind streng, aber sie achten das Recht des Angeklagten zu schweigen, zu lügen. «Dann setzen Sie sich mal wieder, Herr Boger», heißt es nach einem achselzuckenden Abstreiten, und wer da nicht auch die Qual des Richters hört, ist taub. Zusammenstöße zwischen den Beteiligten kann Hof¬ meyer nicht immer verhindern, nicht immer in Grenzen halten. Denn die Verteidigung steht vor dem heikelsten «Wie». Rechtsanwalt Dr. Hans Laternser, schon wenn er 138 morgens am Steuer seines alten Mercedes 300 vorfährt, treffen ihn böse Blicke. Und erhebt er sich erst in der Verhandlung, meist mit wehenden Ärmeln, dann stellt sich für viele im Saal Satan persönlich vor seine Hörigen. Dem bewährten Verteidiger ist eine gewisse Über¬ reiztheit nach vielen Schlachten anzumerken, er vertei¬ digte von Nürnberg bis Stuttgart, vom Generalstab bis zu Professor Leibbrand. Doch fast immer ist sachlich wich¬ tig, was er vorbringt; durch Entziehung des Wortes, schon nicht mehr halblaute Zurufe und die Aufforderung von Prozeßgegnern, lieber an seine Galle zu denken, unbeirrt. Laternser, «heute massiger, rüder» für den Historiker Trevor-Roper, «arroganter als damals in Nürnberg, im übrigen aber derselbe», an seiner Person flackert immer wieder die Frage auf, ob der Rechtsstaat nicht «Tier¬ schutz für Motten» betreibt, wenn er NS-Tätern einen Verfahrensschutz zubilligt, den sie verweigerten, als sie die Macht dazu hatten. Ist Laternser, so Trevor-Roper, «ein Feind des neuen liberalen Deutschland»? In den Jahren nach 1945 hat einmal Adolf Arndt von der SPD als Ankläger in einer NS-Sache gedroht, sein Amt niederzulegen, wenn die Presse fortfahre, die Verteidiger mit ihren Mandanten zu identifizieren. Einer der Verteidiger war damals Latern¬ ser. Heute mag er seinem Auftrag mitunter schaden. Doch gewachsen ist wohl auch in manchem seiner Geg¬ ner der Mut zum Hochmut, zu der Entrüstung über jene Verbrecher, mit denen «wir nichts zu schaffen haben». Hier verteidigen: das zieht den Vorwurf, man sei der Advokat des Satans, so oder so nach sich. Die Verteidiger jedoch müssen an den Aussagen nageiLund beißen, Wi¬ dersprüche enthüllen, ja sogar herausarbeiten. Was heu¬ te gegen den sogenannten NS-Verbrecher geduldet wird, morgen kann es «aufrechten Antifaschisten» widerfah¬ ren. Die Stellung des Angeklagten im deutschen Straf¬ prozeß ist eh die stärkste nicht. So kommt es, muß es immer wieder zu jenen Szenen 139 kommen, in denen man einander die Gesinnung um die Ohren schlägt, von der ein Antrag, eine Frage, ein Ein¬ spruch oder eine Erklärung angeblich Zeugnis ablegen. Das Gericht steht vor einer schweren Entscheidung. Nebenkläger Henry Ormond hat einen Lokaltermin in Auschwitz beantragt. Er legt einen Brief des polnischen Justizministers vor. Alles soll ausgeräumt werden, was einem Augenschein, der Mühe um gerechte Wahrheits¬ findung entgegensteht. Doch da stehen materielle, formelle politische Hinder¬ nisse. Das gab es noch nie, eine derartige Reise fände zum erstenmal statt. Nur: Ein Prozeß wie dieser findet gleich¬ falls zum erstenmal statt. Dem gerechten Urteil über 21 Angeklagte würde die Reise dienen. Die Reise wäre aber auch eine Bekundung des deutschen Gerichts, das im Namen des Volkes Recht sprechen soll. Eine Bekundung gegenüber den Toten, gegenüber den Überlebenden. Das Bild der Angeklagten ist blaß geworden, je schwe¬ rer sie belastet wurden. Das Heer der Opfer wurde sicht¬ bar. Und indem es die Angeklagten zu Statisten machte, ob sie erschüttert, gelangweilt, abweisend oder mit spöt¬ tischen Gesichtern dasitzen, wälzt es sich auf die Gesetze und Regeln des Rechtsstaates zu. Der hat bislang mit den Verbrechen gerechnet, die nach der Erfahrung als men¬ schenmöglich gelten mußten. Nun müssen Verbrechen als menschenmöglich erkannt werden, an die bis heute kein Strafrecht dachte. Kriminalität, wie man sie kannte, gewiß, doch in einem Ausmaß und unter Umständen, die der Vernunft spotten, die eine menschliche Rechtsprechung begründet. Mit der Reise nach Auschwitz würde sich das blaß gewordene Bild der Angeklagten wieder füllen, mit jenen, die mit den Angeklagten aufgerufen sind. Für jene Deutschen, die sich zu ihrer Geschichte bekennen wollen, würde das Gericht nach Auschwitz fahren. Was die Zeugen in Frankfurt berichten - es ist der Öffentlichkeit nicht darzustellen. Was sagt die Mittei¬ lung: Der Angeklagte erschoß die Kinder; das erste, das 140 zweite, das dritte. Dann erschoß er die Eltern, die hatten Zusehen müssen. Kein Wort über diese Mitteilung hinaus ist möglich. Den Schmerz im Augenblick jener Schüsse kann selbst der nur ahnen, der den Bericht von dem Vorgang mitanhört. Was die Deutschen in Frankfurt erfahren können, was durch die «Variationen des Schreckens» dringt und in das Fassungsvermögen schlägt wie ein Blitz, tritt beiläufig unter sie. Der Zeuge Diamanski etwa. In einem Lager, bevor er nach Auschwitz kam, hatte er eines Tages an einem See zu arbeiten. Da sah er plötzlich im Wasser etwas auf- und untertauchen. Er sprang in den See und rettete eine Frau, deren Boot umgeschlagen war. Als er das halbertrunkene Menschenbündel an Land gebracht hatte - da hatte er eine Lageraufseherin gerettet. Die Kameraden be¬ schimpften ihn. «Ich konnte ja nicht wissen, wen ich rettete», sagt der Zeuge und sitzt für einen Augenblick stumm und ratlos da. Da stand für einen Augenblick der Mensch im Saal, wie er sein soll, ein Mitmensch, ein Helfer und Retter. Und dieser Mensch trug ein Narrengewand, weil als wahnsinnig galt und immer wieder gelten wird, wer unter allen Umständen ein Mensch ist. Zu diesem «Wahnsinn» aber ruft der Prozeß in Frankfurt auf. 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Naturwissen¬ schaft und Weltanschauung (683) Kahl, Joachim Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott Mit einer Einführung von Gerhard Szczesny (1093) Kühnl, Reinhard Formen bürgerlicher Herrschaft Liberalismus - Faschismus (1342) Formen bürgerlicher Herrschaft II Der bürgerliche Staat der Gegenwart (1536) Faschismustheorien. Texte zur Faschis¬ musdiskussion 2. Ein Leitfaden (4354) Kühnl, Reinhard (Hg.) Texte zur Faschismusdiskussion I Positionen und Kontroversen (1824) Geschichte und Ideologie Kritische Analyse bundesdeutscher Geschichtsbücher (1656) Leiser, Erwin «Deutschland erwache!» Propaganda im Film des Dritten Reiches (783) Levy, Bemard-Henri Die Barbarei mit menschlichem Gesicht «La barbarie ä visage humain» (4276) Menschenrechte Ein Jahrbuch zu Osteuropa. Hg. JiH Pelikän und Manfred Wilke (4192) Schwenger, Hannes (Hg.) Solidarität mit Rudolf Bahro Briefe in die DDR (4348) aktueller Leitfaden Däubler, Wolfgang Das Arbeitsrecht I. Von der Kinderarbeit zur Betriebsverfassung. Ein Leitfaden für Arbeitnehmer (4057) Das Arbeitsrecht II. Fortsetzung des erfolgreichen Standardwerks. Arbeits¬ platz - Arbeitslosigkeit - Kündigung - Arbeitsgerichtsbarkeit (4275 - in Vorbereitung) Hofmann, Werner Grundelemente der Wirtschaftsgesell¬ schaft. Ein Leitfaden für Lehrende (1149) Israel, Joachim Die sozialen Beziehungen. Grundele¬ mente der Sozialwissenschaft (4063) Raschke, Joachim (Hg.) Die politischen Parteien in Westeuropa Geschichte - Programme - Praxis. Ein Handbuch (4269) 166/643 * * «Hitler wollte gar nicht die Juden um- bringen und hat niemals einen Befehl zur Ausrottung gegeben, auch nicht zur Aus¬ rottung anderer Völker. Es gab keine Vergasungsanlagen. Das sind alles Er¬ findungen krankhafter Hirne.» Manfred Roeder in «Die Auschwitz-Lüge» «Volksgenossen! Deutsche Jugend! Seht den Betrug! Kein einziger Jude ist von den Nationalsozialisten vergast worden. Eine planmäßige Vernichtung auf andere Weise hat es auch nicht gegeben. Wer das Gegenteil behauptet, lügt!» Michael Borchardt in «Der Aufmarsch - Reichsorgan der Faschistischen Front», August 1976